Ich sitze am wuseligen und geschäftigen Zürcher Hauptbahnhof. Es ist 17:30 Uhr und Feierabendbetrieb. Ich warte auf meinen Zug, der mich in den Süden bringen soll, um am nächsten Tag zu einer Dreitageswanderung zu starten.
Züge fahren ein, Bremsen quietschen, es riecht nach Öl. Die Luft ist dennoch nicht stickig, weil die Gleise am Zürcher Hauptbahnhof viel frische Luft bekommen und nicht von drei Seiten eingemauert sind.
Regelmässig werden die neuesten Ankünfte und Abfahrten durchgesagt. Mir fällt auf, dass, während ich da sitze, keine einzige Durchsage auf eine Verspätung hinweist. Dennoch wirken die Menschen mehrheitlich in Eile und gestresst. Die angespannten Mienen auf den Gesichtern im voll gefüllten Bahnhof beschreiben eine unruhige, inhomogene Situation, die auf mich strapaziös und beunruhigend für die Passanten wirkt.
Mittendrin sitze ich. Auf dem bequemen Sitz meiner Bank, links ein Abfallbehälter mit Mülltrennung, rechts eine Informationstafel, und fühle mich selbst vollkommen zufrieden!
Typenstudien am Bahnhof – und eine interessante Frage
In meinem Wohlgefühl verharrend fange ich an, die vorbeikommenden Leute genauer zu beobachten und befinde mich flugs in einer kleinen selbstgemachten Typenstudie.
Beispiele gefällig?
Ich entdecke:
# den gestressten Alltägler, der sich im leichten oder schweren Sprint durch die Massen kämpft, um die knappe Anschlussverbindung zu bekommen,
# das laufende humane Smartphone, das ab und zu den Kopf hebt, um nicht mit einem menschlichen Eisberg zu kollidieren,
# den ruhig wirkenden ich-habe-alles-im Griff-Reisenden, der strukturiert, zielgerichtet und beständigen Schrittes seinen Weg macht,
# den Coolen mit dicken Kopfhörern, an dem das ganze Wirrwarr unbeeinträchtigt vorbeirauscht,
# das verliebte Pärchen, das sich sowieso nur um sich kümmert,
# den Ortsunkundigen, der unsicher den Kopf hebt, um ja nicht Richtung und Ziel aus den Augen zu verlieren,
# das knatternde Rollköfferchen, das im Managerschritt sein Pensum abspult,
# das seltene Exemplar homo sapiens, welches alle Zeit der Welt zu haben scheint und sich über all die Hektik wundert, dabei versucht, ihr mehr oder weniger erfolgreich aus dem Weg zu gehen,
# Familien, deren Kinder einen grossen Spielplatz entdeckt zu haben scheinen mit ihren Eltern, die versuchen, sie trotzdem nicht aus den Augen zu verlieren und des Energieschubs des Nachwuchses Herr zu werden, damit alle gemeinsam am richtigen Gleis ankommen
und
# besonders hier in Zürich: Bergsportler.
Jetzt im Sommer erkennt man sie an den Wanderrucksäcken, Eispickeln oder globigen Wanderschuhen. Zu dieser letzten Rubrik gehöre heute auch ich!
Mit einer Bitte um Selbstreflexion lasse ich die Liste an dieser Stelle enden, obwohl sie durchaus länger sein könnte.
In welcher Typenkategorie siehst du dich selbst?
Und eine andere Sache noch:
Versuche mal, mit irgendeinem dieser Menschen Augenkontakt herzustellen, während ihr am Bahnhof aneinander vorbeilauft.
Kein Problem? Machbar?
Falsch. Nahezu unmöglich! Egal, bei welchem Typen du es probierst.
Wir lernen: Pendeln ist Stress pur und macht laut einer amerikanischen Untersuchung auch krank.
Ich kenne das aus eigener Erfahrung, du bestimmt auch:
Jeden Morgen und jeden Abend der gleiche Stress beim Einsteigen: Gedränge auf dem Bahnsteig oder an der Haltestelle, Stau vor den Türen und wenn man endlich im Zug ist, sind schon fast alle Plätze besetzt.
Regelmässige lange Fahrten zur Arbeit kosten viele Nerven und noch mehr Zeit. Das Gefühl, seine Zeit zu vergeuden nagt an vielen Menschen.
Klar, gerade Pendler lassen sich schwer von ihren Gewohnheiten abbringen. Dennoch zahlt sich Ruhe mittel- und langfristig aus, auch dann, wenn es die Reisezeit, egal ob täglich oder unregelmässig, verlängert!
Du wirst sehen: kleine Schritte bringen schnelle Erfolge und wirken grosse Wunder! Click To Tweet
Tipps für ein stressfreieres Bewegen am Bahnhof und beim Pendeln
Um etwas Ruhe in den stressigen Run am Bahnhof oder beim Pendeln zu bringen, habe ich drei hilfreiche Empfehlungen für dich:
1. Nimm nicht die letztmögliche Verbindung!
Gerade in Stosszeiten verkehren Bus/Tram/Zug in meist recht kurzen Abständen. Warum nicht eine Bahn früher nehmen und beim Umsteigen mehr Zeit haben? Oder noch besser: einfach einmal ein oder zwei Stationen laufen und so den Tag einstimmen oder ausklingen lassen? Das ist eine gut investierte Viertelstunde.
2. Vermeide Zeitdruck!
Nicht die schnellste Verbindung von A nach B ist die Beste, schon gar nicht inmitten des stressigen Berufsverkehrs, wenn sie häufiges Umsteigen bedeutet. Wähle eine Verbindung, die dir genügend Zeit zum Umsteigen lässt. Das vermeidet auch den Stress, immer zu hoffen, dass auch die Verbindung klappen möge. Hilfreich sind hierbei natürlich flexible Arbeitszeiten, die das tägliche Pendeln angenehmer machen können.
3. Optimiere deine Laufwege am Bahnhof!
Nicht der kürzeste Weg zum Umsteigen ist notwendigerweise der schnellste. Gehe den Weg, den wenige andere Menschen auch nehmen. Das kennst du doch auch: ständig steht dir jemand im Weg und du kannst nicht so laufen, wie du möchtest. Gefühlt laufen alle anderen Menschen in die entgegengesetzte Richtung und dir alle entgegen. Und du versuchst, dir deinen Weg durch die Massen zu bahnen. Stress pur! Nimm stattdessen einen kleinen Umweg in Kauf, der dir erlaubt, problemlos und in deinem Tempo zu gehen – und vor allem Freiräume schafft!
Diese Tipps mögen schlaumeierisch wirken, sind aber mitnichten so gemeint. Nicht jeder Tipp ist für jeden Menschen umsetzbar, befinden wir uns doch alle in unterschiedlichen Situationen, Städten und Lebensräumen.
Wichtig ist es aber zum einen, ein Bewusstsein zu entwickeln für regelmässige Stressmomente im Alltag. Wenn das geschafft ist, gilt es, und das ist mindestens genauso wichtig, Massnahmen zu ergreifen, einen solchen Stress kurzfristig, aber nachhaltig, zu verringern beziehungsweise, noch besser, loszuwerden.
Die drei genannten Tipps mögen für diesen Weg eine Hilfestellung darstellen. Am ehesten erfolgreich ist es tatsächlich, mit einem kleinen Schritt anzufangen: wähle einen der Tipps aus und probiere es einfach mal!
Du wirst sehen: kleine Schritte bringen schnelle Erfolge und wirken grosse Wunder!
Ich steige nun in meinen Zug ein, der mittlerweile am Bahnsteig eingefahren ist. Wie meist, suche ich mir einen Platz im ersten Wagon in Fahrtrichtung. Der ist meist weniger gefüllt. Und weisst du warum? Weil viele Menschen den längeren Weg nach ganz vorne im Zug scheuen. Ich sage nur: Tipp 3!
Ich setze mich gelassen auf meinen Platz am Fenster und als sich der Zug in Bewegung setzt, erwische ich mich beim Schmunzeln über meine Typenstudie der vergangenen halben Stunde.
Wohlwissend: der nächste Zug käme bestimmt auch …
Der Zug der Zeit hat keine Haltestellen. (Carl Merz)