138 Tage sind eine gute und lange Zeit, um zu bemerken, wie mich meine Fernwanderung #bud2esa geprägt und verändert hat. Sie hat mir die eine oder andere Lektion über das Leben mitgegeben.
Weitwandern macht es darüberhinaus möglich, sich selbst besser kennenzulernen und die Veränderungen, die man mit den Kilometern durchläuft, klar aufzuzeigen. Zeit und Abstand dafür sind ja zur Genüge vorhanden.
Weit- und Fernwandern und Pilgern erleben einen Boom, der nicht abzuebben scheint. Was die vielen Menschen auf die Wege treibt, kann ich nicht wissen. Viele scheinen auf der Suche nach sich selbst. Wobei ich nicht glaube, dass diese Suche notwendigerweise erfolgreich sein wird.
Was ich weiss, ist, dass der Zauber, der dem Weitwandern innewohnt, am besten dort gefunden werden kann, wo nicht so viele Menschen und kein Massentourismus vorhanden sind. Dort, wo du durch möglichst viel Natur wanderst und die Zivilisation am Rande streifst.
Nur dann entfaltet Weitwandern seinen grösstmöglichen Reiz, der süchtig machen kann.
Nur dann wirst du deutlich bemerken, wie du dich veränderst.
Nur dann kannst du finden, was du suchst.
Doch welche Lektionen habe ich auf meiner ersten Fernwanderung unterwegs gelernt?
8 Lektionen, die mich mein Fernwanderweg Budapest – Eisenach gelehrt hat
1. Durchsetzungskraft
Jeden Tag zu wandern, heisst, sich täglich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Es gibt Tage, da fällt das leicht. Alles klappt, der Körper fühlt sich wohl, du kommst gut voran. Doch es gibt Tage, und nicht wenige, da ist Weitwandern eine echte Herausforderung. Dein Kopfkino wird dich das dann intensiv spüren lassen.
Die Kunst ist es, sich gegen dieses Kopfkino durchzusetzen.
Immer wieder. Denn dein Kopfkino wird sich immer wieder melden. Egal, ob es dir einredet, keine Lust zu haben, sich über das schlechte Wetter beschwert, Müdigkeit vortäuscht, uninspiriert ist, nicht durch Matsch waden oder lieber mit dem Bus fahren möchte oder einfach faul sein mag.
Gegen seine Gedanken anzuwandern, die sofort kommen, wenn man sich aus seiner Komfortzone heraus bewegt, ist die vielleicht grösste Kunst unterwegs.
Gerade am Anfang eines Weitwanderweges ist das eine grosse Aufgabe. Mit der Zeit wachsen deine Durchsetzungskraft und dein Wille. Dennoch bleibt es eine fortwährende Herausforderung, sich mit seinen Gedanken und seinem Inneren auseinanderzusetzen.
Glaube nicht alles, was du denkst!
2. Beharrlichkeit
Weitwandern ist eine ausdauernde Tätigkeit. Zum einen durch die körperliche Anstrengung, zum anderen durch die Herausforderung für deine Sinne in einer sich stetig veränderten Szenerie.
Es braucht den Willen, weiter gehen zu wollen. Auch den nächsten Tag in Angriff zu nehmen. Auch dann, wenn der Weg gefühlt kein Ende nimmt. Wenn der Wanderweg im Nichts oder im Dickicht verschwindet oder die Witterung das Unternehmen erheblich verzögert.
Es braucht Beharrlichkeit. Es braucht die Kraft, dran bleiben zu wollen.
3. Konsequenz
Beharrlichkeit und Konsequenz gehen Hand in Hand. Bleibst du beharrlich bei einem Vorhaben, verfolgst du es mit Konsequenz. Wichtig dabei ist, sich auf dieses eine Vorhaben zu konzentrieren.
Ich habe unterwegs gelernt, dass es mein Fernwanderweg verdient, die Haupttätigkeit in dieser Zeit zu sein. Die Versuche, nebenbei diesen Blog weiterzuführen und ein Buch zu überarbeiten, sind früh zum Scheitern verurteilt worden. Warum?
“Wenn man zwei Hasen jagt, lässt man einen zurück und verliert den anderen.” (Russisches Sprichwort)
Ich habe gelernt, Ballast abzuwerfen. Den gewichtigen in Körperpfunden und den ambitionierten, zuviel auf einmal oder parallel machen zu wollen.
Meine Lektion: konsequent Weitwandern und diesem (einmaligen?) Projekt die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Ausschliesslich. Das war eine goldrichtige Entscheidung.
4. Kreativität
Ich bin ein analytisch-rationaler Mensch. Doch ich entdecke meine kreative Seite immer öfter. Vor allem dann, wenn ich Abstand zum normalen Alltag gewinne oder mich in der Natur aufhalten kann. Die natürliche Stille beruhigt meine Sinne und befördert mein kreatives Ich zutage.
Kreativität braucht Raum und Zeit, die es beim Weitwandern zuhauf gibt. Sie darf sich ausleben unterwegs.
Manchmal braucht auch die Wanderwegfindung Kreativität. Oder die Quartiersuche. Gelegentlich auch die Essensbestellung oder die Zubereitung von osteuropäischen Piroggen. Natürlich auch die Verständigung in fremden Sprachen.
Ich behaupte: Nach dem Weitwandern bist du kreativer als vorher. Und das ist gut so.
5. Weitsicht & Klarheit
Unterwegs auf einem Bergwanderweg zu sein, beschert dem Wanderer per se vielerlei Weitblicke. Doch nicht jeder Berggipfel bietet die Weitsicht, die man sich vielleicht erhofft hat, als man von unten losgestiefelt ist.
Und irgendwann bemerkt man dann, dass man nicht unterwegs ist, um von Bergen in die Ferne zu schauen. Das ist und bleibt schön, zweifelsfrei.
Das Besondere werden die Weitsichten, die nicht so offensichtlich sind. Die, wie man Spuren liest. Die, wie man sich durch unbekannte Landschaften und Kulturräume navigiert. Und die, die schlussendlich dazu führen, dass man Veränderungen zulässt.
Abstand verändert. Zeit verändert. Erfahrungen verändern.
Sie alle schaffen Klarheit.
Und gibt es Schöneres, auf einem Berg zu stehen, die Weitsicht zu geniessen und ganz klar zu verstehen, was man sieht und warum?
Das ist dann der Fall, wenn man sich die folgende Frage klar beantworten kann: Warum bin ich wirklich hier?
6. Überwindung
Viele Male musste ich mich auf meiner Fernwanderung überwinden.
Zum Beispiel …:
# … den ganzen Tag im Regen zu wandern oder früh am Morgen Klamotten anzuziehen, die noch vom Vortag nass sind,
# … in einem Gelände unterwegs zu sein, welches eine Herausforderung an meine Höhenangst darstellt – und dafür eine Lösung zu finden,
# … die Ruhe zu bewahren, wenn keine Markierung mehr zu finden ist und auch das GPS nicht funktioniert
und vor allem …
# … den Mut zu haben, um Hilfe zu bitten.
Es ist nicht leicht, wildfremde Menschen, deren Sprache man nicht oder kaum spricht, anzusprechen und um Hilfe zu bitten.
Es mag auch nicht leicht sein, sich eigene Schwäche einzugestehen.
All das braucht Überwindung.
Lange Zeit beim Weitwandern unterwegs zu sein, lehrt Demut und lässt dich verstehen, dass du auf die Hilfe der Menschen unterwegs angewiesen bist.
Habe den Mut, um diese Hilfe zu bitten und sie auch anzunehmen.
7. Geduld
Wandern heisst, Zeit mitzubringen.
Unterwegssein, egal ob beim Reisen oder beim Weitwandern, heisst auch warten.
Warten bedeutet, dass etwas nicht nach Plan gelaufen ist.
Läuft etwas nicht nach Plan, braucht es eine andere Lösung, die du finden musst.
Warten, Lösungen finden und Fernwandern brauchen Geduld.
Ohne Geduld wirst deine Reise nicht erfolgreich sein können.
8. Unabhängigkeit & Selbstvertrauen
Wenn du die Lektionen 1 – 7 angenommen und gemeistert hast, fällt dir Lektion 8 nahezu automatisch zu: Du hast das notwendige Selbstvertrauen und die Unabhängigkeit gefunden, allen Herausforderungen unterwegs, den grossen und den kleinen, selbstsicher zu begegnen.
Somit fällt es dir leicht, zu akzeptieren, dass es manchmal notwendig ist, darauf zu hoffen, dass es schon gut gehen wird.
Und – es wird gut ausgehen! Die Dinge werden sich fügen.
Auch das wirst du unterwegs lernen und akzeptieren. Dein Bauchgefühl lernt gleich mit, was Unabhängigkeit und Selbstvertrauen weiter steigert.
Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung!
Was Weitwandern so besonders macht
Wenn du die Seele eines Weitwanderers spüren möchtest, greifbar nah, dann empfehle ich dir das Buch “There are other rivers: On foot across India” vom britischen Abenteurer Alastair Humphreys. Ich habe viele Texte und Bücher über Weitwanderungen und Abenteuer zu Fuss gelesen. An Humphreys Buch kommt nichts anderes heran, wenn es darum geht, das Wie, Warum, Weshalb des Fernwanderns zu beschreiben.
Was umtreibt den Weitwanderer? Welche Gedanken hat man unterwegs? Wann möchte man am liebsten aufgeben? Was nervt? Was macht jeden Tag wieder Spass?
Man kann es nicht besser beschreiben. Man kann es nicht besser rüberbringen. Dieses Buch lebt Weitwandern! Wer das Tun und Treiben eines Fernwanderers, zumindest ansatzweise, verstehen möchte, der wird mit diesem Buch fündig.
Ich kann nur empfehlen: Unbedingt lesen!
Auch andere Fernwanderer haben sich Gedanken gemacht, was ihnen die vielen Wanderkilometer unterwegs für ihr Leben mitgegeben haben:
Christof von “einfach bewusst”: 32 Dinge, die ich beim Fernwandern gelernt habe
Alex von “bergreif”: 3 Erkenntnisse, die mich das Fernwandern lehrte
Christian von “Feel4Nature”: Warum Fern- & Weitwandern Dich für immer verändert!
Welche Lektionen hat dich das Weitwandern gelehrt? Was hast du für dich daraus mitgenommen?
Liebe Jana, vielen Dank für diesen wunderschönen Text, der in mir gerade das Verlangen wiedererweckt hat, in näherer Zukunft eine Fernwanderung zu machen – am liebsten ganz allein. Ich freue mich sehr auf diese Erfahrung und danke dir für diesen Text und das Erinnern. Alles Liebe, Julia von roadheart.com
Liebe Julia,
danke Dir für das schöne Feedback. Es freut mich, dass der Text begeistert.
Aus vollem Herzen kann ich Dir eine Fernwanderung, auch (oder vor allem?) allein empfehlen. Das wird eine nachhaltige Erfahrung sein, die prägt – und entschleunigt.
Falls Du weitere Informationen zur Herangehensweise brauchst, bitte melde Dich gerne.
Fussige liebe Grüsse, Jana
Hallo Jana, ich denke bei so einer Tour ist der Punkt Überwindung der, der bei den ganzen Berichten immer etwas zu kurz kommt, ist ja auch logisch. Man spricht über und zeigt die Dinge die schön sind. Doch denke ich, selbst bisher nur bedingt erfahren, das es oft genug Momente gibt, wo man am liebsten alles hinwerfen würde.
Das liest man ab und an, bei tausenden Kilometern aber wohl viel öfters der Fall…
Schöne Liste…
Hi Bert,
danke! Dein Punkt “Überwindung” ist bei mir in den Punkten Durchsetzungskraft und Beharrlichkeit mit eingeflossen. In der Tat hatte ich den ein oder anderen Tag, an dem ich die jeweilige Tagesetappe gerne abgebrochen hätte, wegen Wetter oder Schmerzen oder auch Anstrengung. Aber alles hinwerfen, das kam mir nicht in den Sinn.
Deine Gedanken bringen mich auf eine Idee. Ich werde einen Beitrag vorbereiten, in dem ich über die negativen Momente auf einer Fernwanderung schreibe. Danke für den Tipp!
Ein lieber fussiger Gruss, Jana
Hallo Jana,
eine wichtige Erkenntnis meinerseits war, dass ich auch den Mut haben muss, wieder eine Strecke zurückzugehen, wenn ich vorne nicht mehr weitergekommen bin.
liebe Grüße
Volker
Hi Volker,
ja, das stimmt. Ich habe auch bemerkt, dass mein “Verlaufen” mit der Zeit abgenommen hat. Auch, weil ich den Mut gefunden habe, dann auch einfach mal quer durch zu gehen oder mich besser an die Weg-Weitsicht gewöhnt hatte. Mut braucht man auf jeden Fall für eine solche Unternehmung. Am meisten vielleicht sogar, um überhaupt loszulaufen.
Ein lieber fussiger Gruss, Jana
Liebe Jana, oh ja, das Kopfkino kenne ich nur zu gut! Ich habe manchmal beim Gehen Gedichte gelesen und auswendig gelernt oder bin kilometerweit rückwärts gegangen, um mich mit etwas anderem als mir selbst zu beschäftigen. Was ich erst NACH dem Jakobsweg gelernt habe, ist, dass diese Schwierigkeiten, gegen die man kämpfen und sich durchsetzen muss, wie du schreibst, oft nur im Kopf sind. Wenn ich auf die kleinen, fast unsichtbaren Schätze am Wegesrand achte, statt gegen die lange Strecke anzukämpfen, komme ich einfacher voran.
Weiterhin guten Gang!
Hi Laura,
danke für Deine Gedanken und Deinen wertvollen Tipp im Umgang mit dem Kopfkino!
Auch ich wünsche Dir noch viele Erkenntnisse auf und nach dem (Fern-)Wandern, denn sie bereichern das Leben ungemein!
Ein lieber fussiger Gruss, Jana