Es hat nicht den schillernden Glanz von Lugano oder den Glamour von Locarno. Auch nicht die Eleganz Asconas. Es hat auch keinen See, dessen Blau die steil aufragenden Berge ringsherum spiegelt. Nicht den Lago Maggiore, auch nicht den Lago Lugano. Nur den Tessin, etwas abseits der Stadt, den Fluss, der genauso heisst wie der Kanton, durch den er fliesst.
Dennoch lohnt ein Besuch. Sehr sogar.
In Bellinzona – dem Tor zum Tessin.
Ich zeige dir im heutigen Artikel, warum Bellinzona ein Stück wahres Leben offenbart.
Das Tor zum Tessin
Bellinzona ist die Hauptstadt des Tessins, dem südlichsten Kanton in der Schweiz. Ein Kanton, der auch als italienische Schweiz bekannt ist, weil die erste Amtssprache hier italienisch ist.
Mit seinen gerade einmal 18.000 Einwohnern ist Bellinzona dennoch die zweitgrösste Stadt des Kantons, hinter dem eingangs erwähnten Lugano. Gelegen zwischen zwischen dem Gotthardmassiv, dem nördlichen Eingang des Tessins, und der italienischen Grenze im Süden. Ortskundige beschreiben die Lage auch als Scheitelpunkt zwischen Sopraceneri (nördliches Tessin) und Sottoceneri (Südtessin).
Oder, wie von der Stadt selbsternannt: das Tor zum Tessin!
Das wird im wahrsten Sinne des Wortes auch bald sehr richtig sein. Dann nämlich, wenn der längste Eisenbahntunnel der Welt, der Gotthard-Basistunnel (bekannt auch als NEAT), ein 57,1 Kilometer langes Monumentalbauwerk, im Dezember 2016 offiziell in die Fahrpläne integriert wird. Kurz vor Bellinzona erreicht der Zug nach 20 Minuten Tunneldurchfahrt wieder das Tageslicht und hält dann bei seinem ersten Stop südlich der Alpen in diesem Tor zum Tessin.
Am Bahnhof angekommen, startet dort am besten auch der Stadtspaziergang. Weil Bellinzona so klein ist, was auch den umliegendenden hohen Bergen geschuldet ist, ist vieles fussläufig problemlos erreichbar.
Eine schöne Allee, beidseits von schattenspendenden Kastanien flankiert, führt vom gerade neu renovierten Bahnhof zum Herzen Bellinzonas, in die autofreie Altstadt. Wer Lust auf einen Kaffee hat und sofort in das la dolce vita eintauchen möchte, der kann bereits hier unter den ausladenden Bäumen eine erste Siesta machen.
La dolce vita, das süße Leben, das den Italienern zugesprochen wird, findet man auch im Tessin. Kunststück, sind sie doch geographisch benachbart. Viele Italiener leben im Tessin. Auch die kulturellen Unterschiede zwischen der italienischen Schweiz und Italien sind nicht sehr gross. Oder anders ausgedrückt, das süße Leben wird hier gepaart mit schweizerischer Präzision und Struktur.
Bellinzona. Ein Ziel für Reisende, nicht für Touristen. Click To TweetAm besten besucht man Bellinzona an einem Samstag. Dann ist in der Fussgängerzone der schönen Altstadt Markt. Es gibt fast alles, von Lebensmitteln über Klamotten bis hin zum Messerschärfen, für fast jeden, egal ob gross oder klein oder gar vierbeinig. Nicht selten sieht man die gesamte Familie zusammen einkaufen.
Am späten Samstag Vormittag, so zwischen 10 und 12 Uhr, dann, wenn alle wichtigen Einkäufe für das Wochenende erledigt werden wollen, quillt das Leben in den engen Gassen über. Es wird eng zwischen den Marktständen, deren Stoffdecken in den Tessiner Farben gehalten sind: rot und blau. Ein pulsierendes Stimmenwirwarr dringt zwischen den Marktständen hervor, Ware und Geld wechseln die Besitzer, die ersten Produkte sind dann bereits ausverkauft.
Kurze Zeit später, bereits um 13.30 Uhr, deutet fast nichts mehr auf den gerade stattgefundenen Markt hin. Bereits um 14.00 Uhr kommt das Räum- und Putzkommando. Wie gesagt, la dolce vita gepaart mit schweizerischer Präzision und Struktur.
Wer den gesamten Markt abläuft, folgt damit der zentralen Route durch die Altstadt und Fussgängerzone, die über drei schöne Plätze in Bellinzona führt. Da ist zum einen die Piazza Collegiata, am Fusse der mächtigen Stiftskirche Santi Pietro e Stefano, auf der die Menschen in Cafés sitzen. Dieser grösste Platz der Stadt geht fast nahtlos über in das Herz der Altstadt, die Piazza Nosetto. Hier befindet sich auch das Rathaus, dessen sehenswerter Innenhof nicht nur ersehnten Schatten bietet, sondern auch selbst sehenswert ist.
Auf der Piazza Nosetto sitzen die Einheimischen gerne auf der Bank unter der grossen Kastanie. Beobachten das Treiben, ruhen sich aus, treffen sich, schwatzen. Ein wirklich schöner Ort, um in Bellinzona auch anzukommen.
Zum Schluss führt die Via Camminata aus der Fussgängerzone hinaus auf die Piazza Indipendenza mit dem Obelisken in seiner Mitte und den reich verzierten Häuserfassaden. Es ist ein bisschen wie auftauchen aus dem Charme der Altstadt hinaus in das wahre Alltagsleben.
Die Zahl 3 begleitet den Besucher weiter. Neben diesen drei Plätzen entdeckt man, spätestens, auf der Piazza Indipendenza auch Bellinzonas Wahrzeichen, die “Tre Castelli”, die drei Burgen der Stadt, die seit dem Jahr 2000 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören.
Alle drei sind omnipräsent. Wohin der Blick auch streift, egal, wo man sich gerade in der Stadt befindet, eine der Burgen oder zumindest Teile ihrer Anlagen sind immer sichtbar. Nahtlos gehen die Burgen im Stadtbild mit der Architektur der heutigen Zeit auf.
Da wäre das Castel Grande, die grösste und älteste Burg aus dem 4. Jahrhundert vor Christus, einst eine römische Militäranlage. Die am besten erhaltene Burg thront auf einem gigantischen Felsen mitten in der Altstadt. In nicht einmal zehn Minuten hat man das Castel Grande erreicht und hat von dort einen herrlichen Blick in die umliegenden Berge sowie auf die beiden anderen, das Castello di Montebello, die mittlere und schönste der Burgen, sowie das Castello di Sasso Corbaro, die höchstgelegene und am wenigsten besuchte des Trios.
Zu Fuss unterwegs in Bellinzona
Das war es dann auch bereits mit den sogenannten Sehenswürdigkeiten. Sie mögen ein Anreiz sein, in eine Stadt zu reisen. Sie machen aber nicht den Charme und das Besondere einer Stadt aus. Das ist im Falle von Bellinzona nicht anders!
Klar, eine der Burgen sollte man gesehen haben, wenn man in der Stadt weilt. Ich empfehle dafür das Castello di Montebello. Ein schöner Spaziergang führt durch die Altstadt hinauf. Eine schöne Parkanlage und eine famose Sicht ringsherum belohnen die kleine Mühe.
Bellinzonas beschaulichen Charme, der sich oft erst auf den zweiten Blick zeigt oder bei nochmaligem Hinschauen offenbart, erlebt man, wenn man einfach durch die Stadt streift. In der idyllischen Altstadt, wo sich das gemeinsame öffentliche Leben abspielt, aber auch ausserhalb. Das normale Tessiner Leben entdeckt man dann am besten, wenn man den Rhythmus der Menschen auf- und mitnimmt. Eintaucht in ihren Alltag. Also immer dann, wenn man langsam reist und unterwegs ist.
Es herrscht keine Hektik in Bellinzona. Man kennt sich hier. Menschen begrüssen sich herzlich und bleiben stehen zum Schwatz. Eine Szene, die man sehr oft sieht. Am besten beobachtet man das an einem der Tische der vielen kleinen Bars sitzend.
Wer eine Oase der Ruhe sucht, findet sie im Parco e Villa dei Cedri, etwas ausserhalb des Zentrums. Auf dem Weg dorthin, am besten im Zickzack durch die kaum frequentierten Strassen spazierend, öffnen sich Einblicke in eine typische Wohngegend der Stadt. Die schönen Villen und farbenfrohen gepflegten Vorgärten, viele mit Weinreben, fangen regelmässig den Blick auf.
Eine andere Alternative ist das Grottino Ticinese, nahe dem Schwimmbad, wo man unter riesigen Kastanienbäumen an Granittischen sitzend, eine kühle Gazosa, eine typische Tessiner Limonade, trinken kann. Viele Einheimische kommen gerne in das Grottino, die Preise sind entsprechend moderat.
Am Abend, wenn die Füsse vielleicht schmerzen und der Hunger sich meldet, empfiehlt sich ein Besuch der Trattoria Cantinin dal Gatt. Die Tische sind in der verwinkelten Altstadtgasse Vicolo al Sasso platziert, was einen besonderen Charme verleiht. Danach heisst es, die besondere Atmosphäre der nun beleuchteten “Tre Castelli” aufzunehmen, bevor am nächsten Morgen die Weiterreise ansteht.
Bellinzona, inmitten der Tessiner Berge gelegen, ist ein idealer Ausgangspunkt für Fahrten oder Wanderungen über gleich vier Alpenpässe: Gotthard, San Bernardino, Nufenen und Lukmanier. Wandern in Bellinzona und Umgebung bietet sich gerade zu an: zum Beispiel auf die schön gelegene Capanna Albagno oder ins benachbarte Valle Morobbia. Dort ist die Zeit stehengeblieben. Umso mehr, umso höher man die vielen Kehren der Strasse hinter sich lässt.
Bellinzona, das ist ein Stück echtes Tessin und eine Reise wert.
Eine kleine Stadt, nicht vom Tourismus überrannt oder gar beherrscht. Mehrheitlich echt und sich selbst treu geblieben. Ein Ziel für Reisende. Nicht für Touristen.
Wow, I haven’t read anything in german for ages and I can still understand it! Loved the post, keep up the good work 🙂
<3: Jasmin N
littlethingswithjassy.blogspot.fi