Wenn man bereit ist, klassische Verhaltensmuster über Bord zu werfen, und ohne Ziel drauflos marschiert, dabei neugierig die hässlichsten und profansten Ecken unter die Lupe nimmt, kommt man zum Schluss, dass es in unseren Städten und Landstrichen von Hintersinnigkeiten, optischen Spielereien und zufälligen Widersprüchlichkeiten nur so wimmelt. (Ian Sinclair)
Jeder Reisende kennt das. Egal, wohin die Reise gehen soll. Ob man nun im eigenen Land unterwegs ist, sich ins Nachbarland begibt oder gar einen anderen Kontinent bereist. Meist kommt man in einer neuen, unbekannten Stadt an und möchte einige Tage bleiben, um sie kennenzulernen und zu erleben.
Die Herausforderung dabei: Wie macht man das am besten? Wie bekommt man einen Eindruck von dieser neuen Stadt?
Die einfachste Variante ist sicherlich auch die teuerste. Eine Stadtrundfahrt. Der Bus fährt, meist in einer Rundtour mit unendlich vielen Möglichkeiten ein- und auszusteigen, die wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt an. Man bekommt dank Audioguide in der eigenen Sprache auch gleich geballtes Basiswissen mitgeliefert.
An jeder Haltestelle werden die neu eingestiegenen Gäste mit immer gleichen Worten begrüsst und mit den wichtigen Tipps und Regeln an Bord vertraut gemacht. Meist wird das begleitet von einer genauso immer gleichen eingespielten Melodie. Nachdem man diese Übung einige wenige Male mitgemacht hat, weiss ich aus eigener Erfahrung, dass man dabei schon mal einen kleinen Koller bekommen kann. Unterhalten kann man sich auch nicht richtig, denn jeder sitzt mit Audioguide im Ohr stumm auf seinem Platz.
Zur eigenen Inaktivität verdammt, gerät die Stadtrundfahrt schon einmal zur zähen Angelegenheit, wobei dann meist mit zunehmender Dauer auch das Interesse am Gehörten und Gesehenen stark nachlässt. Diese Erfahrung wiederholt sich bei mir immer wieder ähnlich, egal ob die Stadtrundfahrt in Paris, Rom, London, Quito, Moskau oder Hongkong stattfindet.
Alternativ bieten sich Stadtführungen an, die ein erstes Kennenlernen mit der Stadt ermöglichen. In vielen grösseren Städten gibt es dabei auch verschiedenste Themenwanderungen. Je kleiner der Anbieter solcher Stadtführungen, desto interessanter sind sie gestaltet, desto mehr Erstaunliches erfährt man, in desto spannendere Ecken wird man geführt.
Beide, Stadtrundfahrt und auch Stadtführung, sind ideal geeignet, sich einen ersten Überblick zu verschaffen.
Was kann ein eigens kreierter Stadtspaziergang, was eine Stadtführung nicht kann?
Aber, wie lernt man das Wesen und den Charakter einer Stadt kennen? Nicht nur die weithin bekannten Sehenswürdigkeiten? Wie den eigenen und besonderen Charme einer Stadt entdecken? Das, was sie einzigartig macht? Meine Antwort auf diese Fragen: zu Fuss! Nicht während der touristischen Stadtführung, sondern auf eigenen Pfaden wandelnd, am besten ohne festes Ziel und ohne genaue Routenführung!
Zu Fuss unterwegs in der Stadt lernt man die Menschen aus der Nähe kennen, die in der Stadt leben. Beobachtet sie in ihrem Alltag. Kommt ins Gespräch, bekommt weitere echte Geheimtipps genannt. Unvergessen die Empfehlung zu einem kleinen, sich hinter einem grossen Tor versteckenden Weinkeller in Bulgarien, während wir einfach durch eine kleine Stadt stromerten.
Touristisch weniger erschlossene Ecken werden entdeckt, die dennoch gelungene Überraschungen bereithalten. Oft denke ich dabei an den wundervoll harmonischen und zum Verweilen einladenden Innenhof der Katholischen Universität in Mailand, den ich durch mein zielloses Schlendern gefunden habe. Oder an manch besonderes kleine Restaurant, welches plötzlich am Weg lag und die herrlichsten lokalen Köstlichkeiten servierte, mitten im Stimmengewirr der Einheimischen.
Beim Spazieren durch die Stadt gehen nahtlos die Stadtteile ineinander über. Eben noch schlendert man an einem stillen Kanal in einer bürgerlichen Wohngegend entlang. Ein bisschen später, nach, ein paar mal Abbiegen, befindet man sich plötzlich in einem wuselnden, kosmopolitischen und lebendig lautem Viertel, wo asiatische und afrikanische Einwanderer aller Kulturen und Couleur einträchtig nebeneinander handeln, feiern und den Alltag bestreiten. So gesehen und erlebt in Paris.
Meine drei unabdingbaren Empfehlungen für einen gelungenen Stadtspaziergang
1) Am frühen Morgen, mit dem Sonnenaufgang, starten
Die Stadt beobachten, wie sie aufwacht. Wie das quirlige Leben langsam immer stärker wird. Sehen, wie Strassen und Plätze vom Vortag erst noch gereinigt werden, bevor sie von den Menschen wieder in Beschlag genommen werden.
Die morgendliche Ruhe geniessen, ebenso wie später das pulsierende, manchmal laute pralle Leben. Zuschauen, wie die Menschen geschäftig an die Arbeit gehen, die Geschäfte öffnen, ihr Frühstück beim Bäcker nebenan holen oder ganz frisch auf einem Markt.
Dabei auch mal selbst in einem Café sitzen und das Treiben beobachten: den Zeitungsleser, der still seinen Kaffee schlürft, die Arbeitskollegen, die sich ihren Coffee to go holen und bereits tief in fachliche Diskussionen vertieft sind, das lebendige Gespräch an der Theke verfolgen.
2) Mit dem öffentlichen Verkehr zu einem beliebigen Startpunkt fahren
Man nehme einen beliebigen Bus oder eine in der Nähe (z.B. bei der Unterkunft) fahrende S-/U-Bahn und fahre damit bis zur Endstation oder wie weit man eben möchte. Von dort einen eigenen Weg quer durch die Stadt zum Ausgangspunkt gehen.
Sich vom eigenen Instinkt leiten lassen. Die Neugier entscheiden lassen, welche Strasse man entlang läuft und wo oder wann man wieder abbiegt. Aufmerksamen Schrittes durch die unbekannten Stadtteile spazieren.
Das Unspektakuläre geniessen. Den Charakter und den Charme der Stadt in sich aufnehmen. Die versteckten Kostbarkeiten entdecken. Das normale Leben beobachten und zum eigenen sowie zu gemachten Erfahrungen ins Verhältnis setzen.
Neues mitnehmend, sich von unbekannten Eindrücken inspirieren lassen. Natürlich nicht ohne Karte losziehen und auch achtgeben, dass man in keine unsicheren Gebiete abschweift.
Alternativ zur Idee, erst mit Bus oder Bahn zu fahren, auch einfach losgehen und der Kreativität beim Stadtspaziergang freien Lauf lassen und später mit dem öffentlichen Verkehr wieder zurück fahren.
3) Die kleineren, weniger befahrenen (Neben-)Strassen wählen
Grosse Hauptstrassen haben gleich mehrere Nachteile. Viel Verkehr bedeutet nicht nur viel Lärm, sondern auch viel schlechte Luft.
An solchen Hauptstrassen entlang zu “spazieren” unterscheidet sich, wenn man ehrlich ist, kaum von einer Stadt zur anderen. Ein Eintauchen in das typische Leben einer Stadt ist so nicht möglich. Es empfiehlt sich daher, abzuzweigen in kleinere Strassen, Nebenstrassen, auch wenn diese einmal auf den ersten Blick unscheinbar wirken.
Die reizvollen Erlebnisse und Momente kommen trotzdem ganz sicher. In Berührung zu kommen mit dem Alltag der Menschen in einer Stadt macht deren Besuch noch lange erinnernswert.
Noch heute schmunzele ich voller Freude über folgende Episode: wir bogen ab in diese unscheinbare, fast schmutzig wirkende Seitenstrasse in Peking, wo wir dann zum Mittag mit chinesischen Bauarbeitern in einem kleinen Schnell-Restaurant gegessen haben. Alle Gäste hatten ihre Freude an diesem Zusammentreffen, auch wenn wir uns aufgrund der Sprachbarriere kaum unterhalten konnten.
Immer weiter durch die Stadtteile flanierend, mal links, mal rechts abbiegend, mal einfach der Nase lang, entwickelt sich so ein ausführlicher und lebendiger Stadtspaziergang. Die Eindrücke am Weg lassen dich eine andere Perspektive – im Vergleich zum eigenen Alltag und auch zum touristischen Teil der Stadt – einnehmen.
Es tun sich neue Facetten auf, Unerwartetes wird aufgespürt. Die kleinen Begegnungen mit den Menschen unterwegs, sei es in direktem Kontakt oder einfach durch Beobachtungen, hallen lange nach. Oft passiert es mir am Abend, dass ich über eine solche kleine Szene noch reflektiere, weil sie mir plötzlich wieder vor Augen erscheint.
Das Wichtigste für einen Stadtspaziergang, wie ich ihn in diesem Artikel von ganzen Herzen empfohlen habe, ist, Zeit und Musse mitzubringen. Nichts wäre schlimmer, als durch die Strassen zu hetzen und nicht einmal Zeit zum Verweilen – und zum Beobachten – zu haben.
Wenn du dieses Zutaten befolgst – am frühen Morgen starten, einfach einen beliebigen Startpunkt wählen, auch in kleine Nebenstrassen abbiegen sowie Zeit und Musse mitzubringen – wird dir die unerwartete Kostbarkeit eines Stadtspaziergangs auf jeden Fall zufliegen.
Du wirst dieses Gefühl mögen, auf eigenen Pfaden und Füssen eine unbekannte Stadt erforscht und kennengelernt zu haben. Du wirst die Freude an all den kleinen und grösseren Begegnungen lange in Erinnerung behalten.
Die Stadt wird sich in deinem Herzen einen Platz gesichert haben. Ein Rezept, welches noch bei jeder Stadt zu einer sehr schmackhaften Angelegenheit wurde.
Wie erkundest du eine Stadt, die du zum ersten Mal besuchst?
Hej Jana
Du hast absolut recht! Die schönsten Erfahrungen machen wir stets, wenn wir einfach mal loslaufen und uns auch schon mal verlaufen. Grundsätzlich versuch ich an neuen Orten, so viel wie möglich zu Fuss unterwegs zu sein. Das Taxi wird meistens nur vom Flugi zum Hotel genommen und ab dann werden die Schritte gezählt. 🙂 So konnte ich wie du, viele spannende und unbekannte Orte und Erfahrungen kennenlernen. Solche, die in keinem Reiseführer stehe. Und ganz ehrlich, wir sind doch alles kleine Entdecker in der grossen, wundervollen Welt.
Gruss, Igor
Hallo Igor,
das Besondere an dieser Herangehensweise ist: es sind diese unerwarteten Erlebnisse, die man nicht im Reiseführer findet und abseits der Hauptroute zu finden sind, an die man sich am längsten erinnert, die das ganz Besondere an einer Reise ausmachen!
Und richtig: verlaufen kann sich auch als sehr positiv herausstellen!
Fussige Grüsse, Jana
Ich habe auf diese Art einmal Urlaub gemacht, einfach losgefahren und treiben lassen, bis einem der Bauch sagt (oder der Stau) jetzt runter von der Autobahn und ab ins Land. Dabei entdeckt man Gegenden und Ortschaften, welche man sonst nie besucht hätte und ich habe hier auch schon abseits der Touristenrouten das eine oder andere schöne Lokal bzw. Hotel gefunden. So ähnlich stelle ich mir das Laufen durch eine Unbekannte Stadt auch vor – welchen Weg man nimmt bestimmt das Auge, die Nase oder der Bauch oder auch das Ohr – je nachdem und was dann hinter der nächsten Ecke ist, das ist spannend. Vielen Dank für diese schöne Anregung und auch für deinen lieben Kommentar auf meinem Blog. LG Marion
Hi Marion,
danke für Deine schönen Gedanken. Du beschreibst die unerwartete Kostbarkeit eines Stadtspaziergangs in wahren und wunderbaren Worten. Da verbleibt mir nur zu sagen: Genau das ist es, was ich meine!
Fussige Grüsse, Jana