Lange in meinem Leben habe ich vieles schnell gemacht.
Ich bin schnell zu Bus, Tram oder Bahn gelaufen. Ich bin schnell durch die Fussgängerzone gehastet. Ich habe beim Einkaufen immer die schnellste Schlange gesucht.
In Bewerbungsschreiben habe ich immer angemerkt, eine schnelle Auffassungsgabe zu haben.
Ich arbeite schnell.
Ich spreche schnell.
Ich esse zu schnell.
Alles schnell schnell.
Ich bin eigentlich nicht ungeduldig. Ich freue mich aber, wenn Dinge erledigt werden können.
Wenn ich schnell fertig bin, habe ich hinterher mehr Zeit. Und dadurch mehr vom Leben.
Dachte ich.
Weit gefehlt.
Oder, um es mit den Worten von Frédéric Gros aus seinem Buch “Unterwegs – eine kleine Philosophie des Gehens“ zu sagen:
„Die Illusion der Geschwindigkeit besteht darin, zu glauben, dass man dadurch Zeit gewinnt. Auf den ersten Blick scheint die Rechnung einfach zu sein: Wenn wir etwas in zwei Stunden erledigen statt in drei, gewinnen wir eine Stunde. Doch das ist eine abstrakte Rechnung. Wir tun so, als verhielte es sich mit den Stunden des Tages wie bei einer mechanischen Uhr, als wären sie alle gleich. Aber Hetze und Geschwindigkeit beschleunigen die Zeit, sie läuft schneller; und zwei Stunden, in denen wir uns beeilen, verkürzen einen Tag. Jeder Augenblick wird zerrissen und aufgeteilt, bis zum Platzen angefüllt, und wir türmen in eine Stunde ein Gebirge von Aufgaben. Wenn wir uns beeilen, quillt die Zeit förmlich aus den Nähten wie der Inhalt einer übervollen Schublade, weil wir ungeordnet allen möglichen Kram hineingestopft haben.”
Kennst du das Gefühl?
Funktionierst du ähnlich?
Lange ging es mir genau so. Jeden Tag. Immer wieder.
Bei mir ist dann etwas passiert.
Keine einmalige Sache. Kein plötzliches Umlegen des berühmten Schalters.
Es war ein schleichender Prozess. Ein Prozess, der viele Jahre gedauert hat.
Ein schleichender Prozess, um die Langsamkeit wiederzuentdecken.
Irgendwie passend: schleichen, um Lust auf Langsamkeit zu entdecken.
Von der Lust auf Langsamkeit
Ich habe es geschafft, mich vom Rausch des Tempos zu lösen. Ich habe ihn gegen den Reiz der Langsamkeit getauscht.
Es mag wie aus der Zeit gefallen wirken. Im Zeitalter der Digitalisierung, wo Wirtschaft, Information, Technik und Leben so schnell geworden sind, dass sie unkontrollierbar erscheinen, widme ich ich mich als LangsamMacher der Verlangsamung.
Das ist ein wohltuender Kontrast.
Langsamkeit wiederentdecken. Langsamkeit leben. Nicht nur beim Wandern. Im Alltag. Jeden Tag.
Und das kann jeder.
Auch du.
Egal, ob Angestellter, Selbständiger, Arbeiter, Student, Rentner, Schüler oder Arbeitsloser.
Denn es ist eine Philosophie. Ein Lebensgefühl.
Zu Fuss unterwegs zu sein ist dabei Symbol und Bild zugleich.
Das Gehen, Laufen, Schreiten oder Wandern als Möglichkeit, dem eigenen Erleben eine Chance zu geben. Das Leben zu spüren.
Mit der Kraft der Entschleunigung öffnen sich die Sinne. Es ändert sich die Wahrnehmung. Die, die du auf die Sicht der Dinge hast. Aber auch die Wahrnehmung zu dir selbst. Zu deinem Inneren.
Die Langsamkeit gibt dir die Chance, die Muse und die Zeit herauszufinden, was für dich wichtig ist. Was dir Spass macht. Was dir ein Glücksempfinden bereitet.
Die Lust auf Langsamkeit macht vital. Sie gibt dir die Energie zurück, die du im schnellen und stressigen Alltag aufwenden musst, um mit der Geschwindigkeit Schritt zu halten.
Verlangsamen entspannt: Körper, Geist und somit auch dich.
Die Langsamkeit ist die Basis, um die kleinen Freuden des Lebens ganz gross werden zu lassen.
Das glaubst du nicht?
Woran erinnerst du dich, wenn du an deinen letzten schnellebigen und stressigen Tag zurückdenkst? Denkst du an mehr als an die Tatsache, dass es stressig war und alles schnell gehen musste?
Und jetzt denke einmal an einen Musemoment zurück. An etwas, wo du dir Zeit lassen konntest. Wo du eine Pause gemacht hast. Wo du bewusst langsamer gemacht hast. Woran erinnerst du dich jetzt? An die nette Begegnung, das tolle Motiv, die kleine Blume, dein Glücksgefühl, die gefühlte Entspannung?
Was wird wohl auf Dauer angenehmer sein? Und gesünder? Und nachhaltiger?
Lust auf Langsamkeit – gewusst wie!
Wie du am besten anfangen kannst, LangsamMacher und zuFüssler zu werden, habe ich dir im Artikel “Warum du zuFüssler werden solltest” zusammengefasst. Dort findest du auch einfache Tipps, um sofort beginnen zu können.
Mir ist klar, dass es bei aller Lust auf Langsamkeit wichtig ist, den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen. Dessen bin ich mir bewusst. Das betrifft mich natürlich auch. Solange es kein gesichertes Grundeinkommen für die Menschen in den einzelnen Ländern gibt, wird diese lebensnotwendige Pflicht zu einem Zwang. Zu einer Fessel und einer Abhängigkeit, die man nicht los werden kann. Die einschränken. Die einengen. Die belasten.
Dennoch besteht Hoffnung.
Denn das Lebensgefühl zu Fuss unterwegs zu sein, ist auch eine Form des Minimalismus.
Wer seine Zeit selbstbestimmter gestalten kann, braucht weniger Materielles.
Wer nicht 12 Stunden am Tag arbeitet, braucht sein Geld als Ablenkung und “Belohnung” nicht für Lustkäufe auszugeben (unter anderem auch, weil er weniger verdient).
Wer viel zu Fuss unterwegs ist, braucht nur das, was er bei sich hat.
An dieser Stelle des Textes möchte ich dir eine minimalistische Frage stellen: Welche Dinge in deiner Wohnung hast du in den letzten zehn Tagen wirklich gebraucht?
Ich weiss nicht, ob es 20, 30 oder 50 sind. Ganz sicher aber nicht mehr als 10% von den Dingen, die sich insgesamt in deiner Wohnung befinden.
Das stimmt, oder?
Es ist schon erstaunlich, mit wie wenig man auskommt. Wie wenig man tatsächlich jeden Tag braucht. Du musst also nicht viel Geld verdienen, nur um vieles anzuschaffen oder zu kaufen. Wer viel besitzt, hat meist auch Angst, viel verlieren zu können.
Das Beste ist, einfach anzufangen. Mit kleinen Schritten. Mit Zielen, die erreichbar sind und nicht zu gross.
LangsamMacher und zuFüssler wird man nicht von heute auf morgen. Das ist unrealistisch. Auch bei mir hast das Jahre gedauert. Dennoch gibt es sinnvolle Möglichkeiten, nachhaltig und trotzdem kurzfristig eine Änderung herbeizuführen.
Beispiele gefällig?
Eine nicht zu unterschätzende Wechselwirkung hat die Lust auf Langsamkeit mit
# Downshifting – reduziere deine Arbeitszeit
# Entschleunigung im Alltag – sich bewusst Grenzen setzen und Pausen nehmen,
# regelmässigen Wanderungen – meine Ode an das Wandern verrät, warum,
# GEHlassenheit – jeden Tag zuFüssler sein und am besten 10.000 Schritte am Tag gehen (siehe Infografik),
# Faulenzen – ja, auch Faulenzen ist gesund und intelligent obendrein.
Ursprünglich erschienen auf Ergotopia.de
Langsam wird das neue Schnell
Als LangsamMacher bist du nicht allein. Der Wunsch, langsamer zu machen, entstand schon zu Beginn der 1980er Jahre in Form der Slow Movement.
Aus schnell essen, schnell Geld verdienen oder niemals schlafenden Städten wurde der Wunsch, mehr von der eigenen Zeit zu haben. Gelegenheit zu haben, mit Mitmenschen in Kontakt zu treten. Zeit zu finden, für die grossen und kleinen Begegnungen unterwegs. Zeit zu haben für sich selbst.
Du magst nun schmunzeln, aber es gibt auch Vereine und Seminare, die sich mit der Lust auf Langsamkeit befassen. Erwähnen möchte ich hier den “Verein zur Verzögerung der Zeit” oder das Zeitlupen-Seminar, die sich damit befassen, bewusst langsam zu machen.
Mögen diese Beispiele auch nur exemplarisch dazu dienen, dich mit deinem Wunsch nach Verlangsamung nicht alleine zu fühlen, haben sie doch auch so eine wichtige Botschaft.
Die Lust auf Langsamkeit wird den Menschen immer wichtiger. Auch wichtiger als der Spass an der Schnelligkeit.
Denn nichts geht schneller vorbei als ein Tag, an dem alles schnell ging.
Und das Fazit?
LangsamMachen tut gut. Ist wichtig. Macht Spass. Und ist machbar.
Und wenn du auch nur mit einer einfachen Kleinigkeit starten möchtest, dann mit dieser:
Eins nach dem anderen.
Schritt für Schritt.
Wie man das eben so macht, wenn man zu Fuss unterwegs ist.
Langsam. Aber sicher.
“Wer Leben ins Leben bringen will, muss das Festhalten-Wollen aufgeben.” (Ernst Ferstl, österreichischer Dichter, *1955)
Beitragsbild: Pixabay
Der Artikel enthält Affiliate Links. Siehe Impressum.
Hallo Jana,
langsam machen ist nicht immer ganz einfach. Ich war auch lange immer schnell unterwegs, durch meine Kinder lerne ich gerade allerdings gezwungenermaßen die Langsamkeit. Es gibt Tage, da finde ich das super, aber auch Tage, da macht es mich schier wahnsinnig. Ich habe wohl in Sachen Langsamkeit noch einiges zu lernen 😉
Dass Langsamkeit auch viel mit dem Minimalismus zusammenhängt, kann ich sonst auch nur bestätigen. Ich bin noch immer dabei, unsere Wohnung zu entrümpeln und es fühlt sich jedesmal so befreiend und erleichternd an, wieder einen Schwung Sachen zu verschenken.
Viele Grüße
Christin
Hi Christin,
danke für Deine Eindrücke.
Auch ich habe in Sachen Langsamkeit noch viel zu lernen. Aber die Tage, an denen es mich schier wahnsinnig macht, nehmen immer weiter ab. Im Laufe der Zeit bemerke ich an mir selbst, immer ausgeglichener zu werden. Wo Freunde oder Familie sich über lange Schlangen an den Kassen aufregen, habe ich keine Eile mehr. Auch im Verkehr können mich Drängler und Raser nicht mehr aufregen. Ich empfinde das als sehr angenehm.
Bleibe der Langsamkeit auf der Spur. Ich bin sicher, dass ist ein guter Weg. Und Kinder sehen die Welt noch völlig unbelastet. In dieser Hinsicht sind sie famose Lehrmeister …
Fussige liebe Grüsse von LangsamMacher Jana