Es gibt – natürlich – kritische Stimmen zum Thema Langsamkeit. Am häufigsten höre ich dabei heraus, dass Langsamkeit mit dem Alltag kollidiert. Dass man funktionieren und abliefern muss. Dass man Dinge dann nicht richtig erledigen kann.
Das klingt nach einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Anspruchsdenken.
Perfektionismus?
Und damit – manchmal, nicht immer, aber anscheinend immer häufiger – nach einem Ringen mit oder gegen Perfektionismus.
Es gibt viele Ratgeber, was bei Perfektionismus hilft. Und so widersprüchlich das im ersten Gedankenmoment auch scheinen mag: Langsam zu machen ist ein wirkungsvolles Instrument, damit Perfektionismus dir nicht im Wege steht.
Es ist ein Fehler, keine Fehler machen zu wollen.
Es ist nie zielführend und hilfreich, Aufgaben nicht zu Ende zu führen, weil sie nicht gut genug sind. Wer hat etwas davon?
Die Jagd nach Perfektionismus ist eine Suche, die niemals enden wird.
Das allein erscheint Grund genug, davon Abstand zu nehmen. Doch derjenige, der perfektionistisch veranlagt ist, schafft das nicht so einfach.
Doch warum neigen Menschen zu Perfektionismus?
Was ist Perfektionismus eigentlich? Die eine gültige Definition scheint es nicht zu geben, zu facettenreich ist der Bereich. In Wikipedia findet sich folgender Erklärungsversuch:
“Perfektionismus ist ein psychologisches Konstrukt, das versucht, übertriebenes Streben nach möglichster Perfektion und Fehlervermeidung zu erklären”.
Genau um diese Auslegung des Perfektionismus geht es im heutigen Beitrag: übertriebenes Streben und zwanghafte Fehlervermeidung.
Es ist unzweifelhaft, dass in bestimmten Bereich Perfektionismus zwingend ist. Das Streben nach produkttechnischer Ausgereiftheit ist eine Form des Perfektionismus, die nicht übertrieben oder zwanghaft ist, sondern eine Notwendigkeit für Leib und Leben. Niemand möchte in ein Flugzeug steigen, das nicht technisch ausgereift ist.
Der heutige Wissensstand kennt unter anderem diese drei Gründe für Perfektionismus:
1. Angst vor Fehlern
Die Angst, Fehler zu machen ist eine Angst vor Schimpf und Schande. Man möchte nicht für Fehlschläge verantwortlich sein.
2. Verlangen nach Beachtung
Das ist der Wunsch nach Anerkennung der Leistung oder nach mehr Kontrolle. Das betrifft vor allem sehr willensstarke und strebsame Menschen.
Diese beiden ersten Formen von Perfektionismus gelten als schlechter Perfektionismus. Die nachfolgende dritte Form ist ein guter Perfektionismus. Doch auch der steht einem Perfektionisten im Wege im Vollenden seiner Aufgabe.
3. Der eigene Anspruch
Du legst an dich selbst und dein Tun sehr hohe Maßstäbe an. Die eigene Messlatte legst du jedes Mal höher. Du möchtest dich als Mensch oder in deinem Beruf stetig weiterentwickeln. Sehr wahrscheinlich sogar bis hin zu einem finalen Idealbild.
In jedem der drei genannten Fälle führt Perfektionismus zu Prokrastination. Zum Aufschieben der anfallenden Arbeitsschritte. Das Wort stammt aus dem Lateinischen: procrastinare. Vertagen. “Pro” steht für “für”, “cras” für “morgen”. Vertagen für morgen also.
In meiner Familie nennen wir das “Buckeln”. Sich hinter dem Berg verstecken, der sich vor einem aufgebaut hat. Weniger aus perfektionistischen Gründen, sondern einfach, weil es eine unliebsame Aufgabe war, die als nächstes anstand.
Der Effekt ist derselbe.
Es bleibt liegen.
Und das ist ja nun auch nicht perfekt. Es führt vor allem zum Stillstand.
Das hilft gegen Perfektionismus!
Es gibt viele Tipps, was Betroffene gegen Perfektionismus tun können. Sie lassen sich unterscheiden in berufliche Ratschläge und psychologische Vorschläge.
Doch wie hilft Langsamkeit gegen Perfektionismus?
Aus Sicht eines LangsamMachers ist es vor allem sinnvoll, sich aus der immer heftiger drehenden Spirale herauszuhalten. Ich meine die Spirale aus Anspruch, Hektik, Beweisdenken und dem immer weiter heranrasenden unaufhaltbaren Fertigstellungszeitpunkt. Sie dreht sich umso schneller, je weniger Zeit zum Beenden der Aufgabe oder zur Lösung des Problems bleibt.
Es ist wichtig, bewusst andere Reize zu setzen. Diese Reize helfen, das kraftvolle Gedankenkarussell Perfektionismus ins Stottern zu bringen oder, idealerweise, sogar anzuhalten.
Das bietet wertvolle Gelegenheiten, nachzudenken.
Infragezustellen.
Anzupassen oder zu ändern.
Ganz wichtig!
4 konkrete Empfehlungen gebe ich dir mit auf den Weg, die dir entscheidend gegen Perfektionismus helfen können:
1. Langsam machen!
Auf die Bremse treten. Bewusst langsam machen!
Regelmässig innehalten. Dabei durchatmen.
Den Kopf vom Schreibtisch heben.
Das Arbeitstempo bewusst drosseln.
Die anstehenden Arbeitsschritte regelmässig reflektieren und anpassen. Kleine überschaubare Schritte bis zum nächsten Zwischenziel einplanen. Diese Erfolge wahrnehmen und feiern. Selbstvertrauen aufbauen.
Diese Schritte immer wiederholen.
2. Pause machen!
Gedanken sammeln. Energie tanken, zum Beispiel durch einen Spaziergang oder einen Aufenthalt im Grünen. Einfach mal nichts tun. Faul sein.
Keine Angst: Pause zu machen, ist keine vergeudete Zeit!
Es setzt Kreativität in Gang. Und Klarheit, wie man sich der bevorstehenden Aufgabe einfacher, effizienter, pragmatischer nähern könnte.
Pausen schaffen Abstand. Abstand verschafft Überblick. Überblick erlaubt Struktur. Struktur ermöglicht effizientes Herangehen und Abarbeiten.
3. Die Dinge zu Ende bringen – fertig werden!
Für Perfektionisten wohl der Alptraum: Etwas fertigstellen, das eben nicht perfekt ist. Doch ganz ehrlich. Etwas, dass nicht zu Ende gebracht wird, hilft nicht. Es nützt niemandem.
Wichtig ist, die Dinge zu Ende zu bringen. Auch wenn sie vielleicht nur 80% perfekt sind. Dafür sind sie aber fertig.
Die schonungslose und uninspirierende Wahrheit ist, dass oftmals gar nicht bemerkt wird, wenn eine Aufgabe “nur” zu 80% erledigt wurde. Solange sie fertiggestellt ist, ist es das, was zählt. In der freien Wirtschaft gilt: je früher etwas auf den Markt kommt, desto besser ist es.
Man kann dazu eine andere Meinung haben, aber so funktionieren die Märkte heute in vielen Bereichen. Wer mitspielen möchte oder muss, muss sich an die Spielregeln halten. Das ist uncharmant, aber es ist so.
Viele haben nicht ausreichend Zeit, Kraft und Nerven zu prüfen, ob etwas perfekt erledigt wurde. Perfektion wird auch subjektiv empfunden. Was für dich perfekt sein mag, könnte ein anderer als zu viel des Guten wahrnehmen. Als etwas, das zu lange gedauert hat. Als etwas, das gar nicht benötigt wird.
“Das Bessere ist der Feind des Guten.” (Voltaire, französischer Schriftsteller, 1694 – 1778)
Wichtig ist, dass es weitergehen kann. Damit der nächste Kollege aktiv werden kann. Damit ein Produkt gelaunched werden kann. Damit eine Kampagne weitergeht. Oder was auch immer.
Das ermöglicht Fehler. Natürlich. Manche Fehler werden bemerkt, manche nicht. Doch darauf lässt sich aufbauen.
4. Fehler machen gehört dazu – solange du sie nicht mehrmals machst!
Fehler machen ist keine Schande. Schwierig wird es erst, wenn jemand denselben Fehler ein zweites Mal macht. Das gilt es zu vermeiden. Lasse Fehler zu, eigene und fremde. Und mache es das nächste Mal einfach besser.
Auch dieser Blogbeitrag ist mitnichten perfekt. Ich hätte sicherlich noch länger daran feilen können. Das Thema Perfektionismus kann man von weiteren Blickwinkeln aus betrachten. Man kann viel tiefer eintauchen. Möglicherweise hätte es dann diesen Artikel zeitnah nicht gegeben. Es wäre keine Diskussion zustande gekommen. Auch meine eigene Auseinandersetzung mit diesem Thema hätte erst später stattgefunden.
Wäre es das Wert gewesen?
Nein.
Es gibt einen grossen bunten Bereich zwischen Schwarz und Weiss.
Menschen machen Fehler. Niemand möchte in ein Flugzeug steigen, was nicht technisch ausgereift ist.
Beide Aussagen sind Fakten, die wohl kein vernunftbegabter Mensch bestreitet. Und sie widersprechen sich.
Ein Flugzeug, welches niemals abheben kann, ist eben auch kein Flugzeug.
Hätten wir auf die Fliegerei solange verzichten sollen, bis wir ganz sicher sind, dass kein Flugzeug mehr vom Himmel stürzt?
Wohl auch nein.
Wichtig ist es, das grosse Ganze im Auge zu behalten!
Wichtig ist es, den Prozess in Gang zu setzen und am Leben zu erhalten.
Und darauf aufzubauen und daraus zu lernen.
Also:
Mache es einfach, trotz perfektionistischem Streben, aber mache es.
Um unliebsamen und hinderlichen Perfektionismus auszuhebeln, braucht es nicht nur das Wissen, wie es möglich ist. Ohne den eisernen Willen, etwas zu ändern, wird es nicht gelingen.
Und dass muss jeder selbst wollen. Muss es konsequent angehen. Und dann auch schaffen.
Einfach mag das nicht sein. Aber wirkungsvoll. Und es befreit. Und macht glücklich(er).
Was hilft dir gegen Perfektionismus?
* Bilder: Fotolia
Sehr tiefgreifender Artikel der zum nachdenken anregt. Nachdem ich jetzt diesen Artikel gelesen habe, sollte ich doch mal meine Arbeitsweise überdenken. Ich bin ja schon ein klener Perfektionist und auch bei mir ist einiges nicht fertig, es ist ja noch nicht perfekt.
So, jetzt wird es Zeit was fertig zu machen.
Lieben Gruß
Sascha
Hi Sascha,
das freut mich, dass der Artikel zum Nachdenken anregt. Das war sein Ziel – umso schöner ist es, dass es gelungen ist. Wie bei allem gilt auch bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Perfektionismus: Übung macht den Meister!
Gutes Gelingen und zählbare Erfolge wünsche ich Dir!
Fussige liebe Grüsse, Jana