Gerade erst habe ich einen Beitrag von kleinen Ideen mit grossen Wirkungen geschrieben, da ergibt es sich, ein Paradebeispiel einer solchen kleinen Idee mit einer – im wahrsten Sinne des Wortes – weltweiten Auswirkung in meiner fussigen Interviewserie bekannt(er) zu machen.
Mario Dieringer hat den “Footpath of Life” ins Leben gerufen. Ein wundervolles Projekt, welches nur so vor Menschlichkeit, Wärme und der Liebe zum Leben strotzt. Das ist umso bemerkenswerter, weil “Footpath of Life” aus einem sehr traurigen Grund entstanden ist.
Es ist für mich bewundernswert, wie viel positive Energie, Lebensfreude, Enthusiasmus und bildhaft lebendige Sprache in Marios Worten trotz – oder gerade auch wegen – des Schicksalsschlages zu finden sind.
Erfahre im heutigen Interview mit Mario Dieringer und über “Footpath of Life”, …
✓ … warum Marios Projekt “Footpath of Life” entstanden ist und was seine Vision ist,
✓ … warum Bäume das ideale Symbol für dieses bemerkenswerte Vorhaben sind,
✓ … welche Schwierigkeiten es zu meistern gilt und
✓ … warum es so wichtig ist, den “Footpath of Life” zu Fuss zu ziehen.
Und vielleicht fragst du dich nach dem Lesen des Interviews auch, so wie ich, mit welchem Bild vor Augen du einmal sterben möchtest, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Das mag komisch klingen, ist aber eine sehr wichtige und berechtigte Fragestellung.
Und nun, ohne weitere Worte zu verlieren, auf zum “Footpath of Life”!
Mario Dieringer ist von Beruf Journalist und Dozent und hat sich im Verlauf seines Lebens immer wieder neu erfunden. So waren seine vier abgeschlossenen Berufsausbildungen und das Studium eher ein Akt der Langeweile, als eine Notwendigkeit. Nach dem Suizid seines Lebenspartners änderte sich sein Leben schlagartig; zurückgeblieben sind nur noch Scherben und unendliche Finsternis. Nach Monaten im eisigen Würgegriff von Depressionen und eigenen Suizidgedanken hat der 50jährige einen Weg gefunden, sein persönliches Schicksal zu nutzen, um auf die Problematik Suizid hinzuweisen. Mit seinem internationalen Projekt „Footpath of Life“ will er auf einem Weg um die Erde Bäume der Erinnerung pflanzen und über 75.000 Kilometer hinweg Gelder für die Suizidprävention erlaufen.
1. Du wirst bald für eine lange Zeit zuFüssler sein. Du möchtest 75.000 Kilometer um die Erde – gehen, laufen, wandern. Worauf freust Du Dich am meisten?
Diese Frage klingt so einfach und dann stelle ich fest, dass ich gar nicht weiss womit ich beginnen soll, weil es so Vieles gibt, auf das ich mich freue.
Allen voran auf alle Erfahrungen, die neu sind, auf die ich nicht mal im Traum gekommen wäre und die mir zeigen werden, dass das Leben noch viel grossartiger sein kann, als angenommen. Aber auch auf die Momente, in denen ich über mich hinauswachsen muss und Fähigkeiten von mir entdecke, von denen ich nicht wusste, dass ich sie habe.
Zu dieser Liste gehört aber auch das Scheitern und das Erkennen eigener Grenzen, auch wenn ich mich nicht darauf freue. Sie werden mich mit meinen Ängsten konfrontieren und das wird mir eine mentale Freiheit schenken und mich stärken.
Und in diesem Bewusstsein des neuen „Ichs“ wird die Begegnung mit spannenden Menschen und die gegenseitige Unterstützung eine gänzlich neue Erfahrung werden. Auf diese Menschen, Ihre Taten und Ihre Projekte freue ich mich mindestens ebenso sehr, wie auf die Natur und die Welt als solches.
2. Dein Projekt “Footpath of Life” ist durch einen privaten Schicksalsschlag entstanden. Wie kam die Idee zur Weltumrundung zu Fuss und warum gerade zu Fuss?
Jetzt wird natürlich erwartet, dass der „Verrückte“ beschreibt wie man auf so eine irrwitzige Idee nach dem Suizid des Lebenspartners kommt.
Jetzt wird es gleichermassen langweilig banal als auch unglaublich spannend.
Ich stand unter der Dusche und plötzlich wurde es still. Ich hörte nicht mehr das Wasser auf meiner Schädeldecke trommeln und fühlte auch keine wohltuende Wärme mehr. Da war nur noch diese allumfassende Stille und plötzlich war da dieser raumfüllende, ach was, diese meine Welt ausfüllende Gedanke: „Lauf um die Welt und pflanz’ Bäume“. Laut und deutlich ohne, dass es eine Stimme gab, ohne dass es einen Ton gab.
Es war einfach dieser lautlose und gleichzeitig alles ergreifende Gedanke. Und das einzige, was ich von mir gab, war: “Bist Du vollkommen verrückt geworden? Du hast Sie wohl nicht mehr alle! Lauf um die Welt und pflanz Bäume …. Dir hat wohl jemand ins Gehirn geka… .”
Dieser Gedanke, der mir gleichzeitig “Footpath of Life”, quasi als „full package“ geliefert hat, liess mich nicht mehr los und am selben Tag habe ich alles zu Papier gebracht. All das, was heute auf der Website steht und dazu dienen wird, die Suizid-Prävention zu unterstützen.
Ich muss laufen, ich darf die Erdverbundenheit nicht verlieren, weshalb ich Ozeane auch nur zu Schiff überqueren kann und ich kann Dir die Frage nach dem „Warum“ nicht beantworten. Ich weiss nur, dass es sehr wichtig ist, diesen Ring um die Erde, der für den Kreislauf und die Unendlichkeit des Lebens steht, zu Fuss zu gehen, denn nur so werde ich das Leben spüren, meistern und ein Zeichen setzen.
3. Unterwegs wirst Du auf Deiner Wanderung, auf Deinem Weg, Bäume pflanzen. Menschen, Familien, Freunde, Arbeitskollegen können sich an Dich wenden, wenn sie für jemanden, der nicht mehr unter uns ist, einen Baum pflanzen möchten. Warum hast Du Dir gerade Bäume, die so wichtigen und standhaften Teile der Natur, als Symbol für die Erinnerung ausgesucht?
Die Bäume sind Bestandteil des Gedanken-Pakets gewesen, dass da unter der Dusche von meinem Unterbewusstsein oder wem auch immer, plötzlich geliefert wurde. Und in der Tat sind diese Wunder der Natur das perfekte Symbol, um an Menschen zu erinnern, die von uns gegangen sind.
Es gibt Milliarden von Bäumen, aber nicht einen einzigen Zwillingsbaum. Keiner gleicht dem anderen, so wie die Liebe sich nicht vergleichen lässt oder doppelt. Aus einen winzigen Samen entstehen im Laufe der Jahrzehnte riesige und wunderschöne Geschöpfe der Natur und je älter sie werden, umso schöner und kräftiger sind sie. Auch das haben Bäume mit der Liebe gemeinsam.
Sie entwickeln sich im Frühjahr und zeigen uns die neuen Farben des Lebens, erstrahlen im Sommer und bieten Schatten und Schutz vor Unwetter und im Herbst müssen die Blätter weichen, um für Neues Platz zu schaffen. Und die frostigen Zeiten in einer Beziehung werden durch den Winter symbolisiert, der den neuen Keimen im Frühjahr Platz machen muss.
Auch Beziehungen durchlaufen Jahreszeiten. Die Bäume, die ich pflanzen werde, tragen die Erinnerungen an einen ganz besonderen Menschen in sich und dürfen wachsen, so wie einst die Liebe oder die Freundschaft gewachsen ist. Sie erzählen Geschichten und sind gleichzeitig ein lebendiges und starkes Zeichen dafür, wie sehr es sich lohnt, für das Leben zu kämpfen und wie schön es sein kann. Sie sollen aber auch mahnen, diejenigen nicht allein zu lassen, die plötzlich ohne Partner dastehen.
Bäume sind das perfekte Symbol und diese Erkenntnis lässt mir immer wieder das Herz platzen vor Freude. Stell’ Dir einfach diesen Ring um die Erde vor, der jedes Frühjahr von blühenden Bäumen gesäumt wird.
4. Den ersten Schritt wirst Du im nächsten Jahr, 2018, machen. Wo wird Dich Deine Route entlang führen? Welche Länder stehen schon fest? Wie lange möchtest Du Dir für die 75.000 Kilometer Zeit lassen?
Wie die genaue Route um die Erde verlaufen wird, kann ich nicht sagen. Das kann ich noch nicht mal sagen, wenn ich mich bereits auf dem Weg befinde. Den Verlauf von “Footpath of Life” geben nämlich die Menschen vor, die mit mir einen Baum für einen ihrer Lieben pflanzen möchten. Das bedeutet, dass wenn mir jemand sagt „Komm nach Dresden“, wird die Stadt auf eine Liste eingetragen.
Kurz bevor ich dann losgehe, werde ich alle Städte in eine sinnvolle Reihenfolge bringen, die ich ablaufen kann. Diese Planung wird mit jeder Landesgrenze, die ich überschreiten werde, von Neuem stattfinden. Und selbst wenn die Strecke bereits mehr oder weniger feststeht, kann sie sich noch verändern, weil plus minus 100 Kilometer rechts und links vom Weg, neue Gemeinden dazu kommen können.
Der Weg wird also nicht von mir gemacht, sondern von den Menschen und ihren Bäumen. Bisher sind 23 Bäume in neun Ländern geplant. Deutschland, Niederlande, Belgien, England, Spanien, Italien, Serbien, USA und die Mongolei sind schon mal Teil von “Footpath of Life”.
Aber wie lange ich dafür brauchen werde kann ich nicht sagen. Ich gehe von mindestens 15 Jahren aus und wenn es 10 Jahre länger dauert, dann ist es halt so.
Ich habe alle Zeit der Welt.
5. Wie planst Du diese Unternehmung, diese immens lange Fernwanderung? Wie willst Du sie finanzieren?
Dadurch, dass sich der Streckenverlauf erst kurz vorher Start zeigen wird und später von Land zu Land geplant werden muss, kann ich nur wenig planen. Aber ich werde in diesem Jahr viele Gemeinden anschreiben und um einen Platz für einen Baum bitten.
Gleichzeitig versuche ich über alle möglichen Kanäle online und offline, Menschen von “Footpath of Life” zu erzählen, damit ich so viele Menschen wie nur irgendwie möglich erreiche, die es sich vorstellen können, mit ihrem Baum ein Teil von “Footpath of Life” zu werden oder irgendwie für sich selbst Hoffnung schöpfen können, indem sie sehen, was ich mache.
Mit zur Planung gehört auch die Suche nach Sponsoren und da muss ich sagen, war ich sehr blauäugig und bin auch zugegebener Massen bisher sehr enttäuscht. „Suizide und Sponsoring passt nicht zusammen“ höre ich öfter. Die Verantwortlichen sehen nicht, welch ungeheure Kraft es braucht und wieviel positiven Lebenswillen und Mut ich aufbringe, das Unvorstellbare wahr zu machen.
Das ganze Projekt ist ein einziger positiver Kraftakt mit vielen leuchtenden Facetten, welche von Sponsoren vielfältig genutzt werden könnten. Doch die Marketingmanager sehen nur die Dunkelheit des Suizides. Deshalb bin ich auf Spenden angewiesen. Nicht nur um mein täglich Brot zu ermöglichen, sondern um die Bäume kaufen zu können und die Ausrüstung aufzutreiben. Ich glaube, dass das Eine das Andere bedingt.
Wenn die Manager sehen, wie viele Menschen an das Projekt glauben und mich finanziell unterstützen, werden sie womöglich aufgeschlossener sein. Deshalb habe ich Anfang Januar eine Spendenseite eingerichtet und auf meiner Website auch eine Kontonummer für Spenden angegeben:
Unterstützung für “Footpath of Life”
Ich würde mich also über jede Spende freuen, auch wenn es sich nur um einen Euro handelt, was genügend Geld wäre, um Essen für einen Tag zu kaufen.
6. Wirkt sich Deine Liebe zur Natur und zu den Tieren, und auch das zu Fuss unterwegs Sein, auch jetzt schon auf andere Bereiche in Deinem Leben aus? Wenn ja, wie?
Meine Liebe zur Natur und zu Tieren war schon immer da. Ich bin mit Tieren groß geworden, habe bisher drei Hunde gehabt, Katzen, Schildkröten, Schlangen, Hamster und aktuell noch mein Aquarium.
Ich glaube ich habe immer schon einen sehr bewussten Umgang mit der Natur gehabt und betrachte jedes Lebewesen und jede Pflanze als Geschöpf der Natur und versuche sie zu achten. Klappt natürlich nicht immer, weil Unkraut in meinen Gemüsebeeten und eine Horde Ameisen im Zelt, einfach nicht argumentativ aus dem Weg geräumt werden können.
Aber wenn ich wandern gehe, erwacht immer das Kind in mir und ich staune darüber wie schön selbst ein Sonnenstrahl sein kann, der es durch das Dach des Waldes auf den Erdboden schafft, um dort ein Farn ins Rampenlicht zu stellen.
7. Wenn Du dann länger unterwegs bist, was darf auf keinen Fall fehlen?
Ganz ehrlich? Die Wärme und der Zuspruch meiner Mitmenschen, Freunde und Follower. Das Mutmachen von außen kommend und ab und an ein kleines Erfolgserlebnis, das mir zeigt: alles richtig, was Du machst.
Daneben aber auch die Dinge, die mein (Über)Leben sichern: Zelt, Schlafsack, Kocher, Wasserfilter, Navigationsgerät.
Und ganz wichtig, damit ich auch alles dokumentieren kann und damit mir die Menschen virtuell folgen können: mein Laptop, die Filmkamera, der Fotoapparat, das Handy und das Solarladegerät.
8. Mit wem würdest Du gerne auf Deiner Wanderung für “Footpath of Life” ein Stück spazieren gehen oder einen Teil der Wanderung bestreiten?
Wow jetzt wird mir also diese Frage gestellt, die anderen in ähnlicher Form immer wieder vor TV-Kameras gestellt wird. Dabei frage ich mich immer: der Papst, Prinz William oder Jodie Foster, wen würde ich nehmen? Es gäbe so viele Menschen, die ich gerne mal kennenlernen möchte.
“Footpath of Life” möchte ich am liebsten – und das ist jetzt auch eine Einladung – mit Menschen gehen, die wie ich alles verloren haben, die wie ich in Gedanken dem Tod näher als dem Leben gestanden haben oder viel wichtiger sich in dieser Situation befinden. Mit Menschen, die jede Hoffnung aufgegeben haben und müde ihres Lebens sind.
Mit Ihnen möchte ich Footpath gehen, um ihnen, als auch dem Leben oder der Welt, zu beweisen: Du musst nur die Augen öffnen und die Dinge betrachten, die Dir bis dahin verborgen geblieben sind, weil Du sie nicht gesehen hast, weil sie nicht entlang Deines Weges standen, um zu sehen wie toll und lebenswert das ist, was da noch kommt. Du musst nur einen neuen Weg einschlagen.
Ich möchte mit denjenigen gehen, die keine Kraft mehr haben. Ich möchte mit Menschen gehen, die das ganze Projekt einfach nur toll finden. Und ich möchte eines Tages mit demjenigen gehen, der meine Hand nicht mehr loslassen mag und für den “Footpath of Life” und ich, womöglich mehr wird, als nur eine verrückte Wanderung (Ja, Universum, Gott oder wer auch immer, das war ein Wunsch voller Demut!)
9. Welches Erlebnis in der Natur, mit Tieren, zu Fuss unterwegs, egal ob ein schönes oder nicht so schönes, bleibt Dir besonders in Erinnerung? Warum?
Womit soll ich nur beginnen?
Ich bin 1990 innerhalb eines Jahres vom Senegal nach Madagaskar gereist. Einmal quer durch den afrikanischen Kontinent. Was soll ich sagen? Das erste Mal als ich eine Elefantenherde in nur 30 Meter Entfernung gesehen habe, das Gepardenweibchen mit seinen drei Jungen in Tansania, die stinkende Herde Nilpferde, wie sie den Fluss voll geschissen haben, der Blick vom Rand des Ngorongoro Kraters auf das Paradies?
Das erste Mal als ich mit meinem Gleitschirm eine Höhe von 2700 Metern erreicht habe und über den Alpenhauptkamm schauen konnte, der Nasenbär der am Strand in Costa Rica jeden Tag ankam und meinen Rucksack durchwühlt hat und mich lustig angepiepst hat, wenn ich ihm Ananas-Stückchen gegeben habe? Oder die langen taghellen in rosa Licht getauchten Nächte, die ich vor meinem Zelt in der Antarktis, während der Erstbesteigung eines dortigen Berges verbrachte, als ich diese Expedition für das Fernsehen dokumentiert habe?
Eigentlich alles, was ich das erste Mal erlebt habe.
Aber jetzt wo ich darüber schreibe ist das Bild wieder da und das ist bis dato der schönste und unglaublichste Moment in meinem Leben gewesen: mit dem Segelboot in der Antarktis den Lemaire Channel, dem Sonnenuntergang entgegen, durchshippernd.
Das war ein Moment, den ich nicht in Worte fassen kann und das ist das Bild, das ich vor Augen haben möchte, wenn ich mal sterbe.
Bis jetzt … wer weiss was noch kommt.
10. “Gehen ist des Menschen beste Medizin.” (Hippokrates) Weil …?
… einem die Langsamkeit des Seins und Vorankommens die Möglichkeit bietet, Menschen, Tieren und Pflanzen zu begegnen, diese wahrzunehmen, jeder Schritt die Gedanken in die Freiheit entlässt und mein Fussabdruck nichts weiter tut, als dem Lauf der Geschichte zu folgen, wie es Millionen vor mir taten, das Gehirn zu arbeiten beginnt und ich allzeit mit allen fünf Sinnen spüre:
Ich lebe.
Fotos mit Bäumen: Pixabay