Alle Weitwanderer bekommen leuchtende Augen und haben ein breites Lachen im Gesicht, wenn sie vom Fernwandern sprechen. Auch ich bin da keine Ausnahme. Dabei werden oft die Momente vergessen oder einfach mal verschwiegen, in denen man man den Spass mit der Lupe suchen muss.
Denn: Auch Fernwandern fetzt nicht immer.
Es ist unbestritten, dass Fernwandern eine schöne, wichtige und andersartige Lektion des Lebens darstellt. Wer einmal eine Fernwanderung erfolgreich gemeistert hat, kennt das Gefühl der innerlichen und äusserlichen Veränderungen, die sich mit jedem gelaufenen Kilometer einstellen.
Und auch wenn sich während der Wochen auf einem Weitwanderweg eine Art nicht langweilig werdende Routine einstellt und ein auf Gewohnheiten basierendes Grundgerüst dem sich ständig ändernden Umfeld Stabilität verleiht, gibt es dazwischen immer wieder Momente und Phasen, wo man gestrichen die Nase voll hat und es einfach keinen Spass macht.
Und im Nachhinein bin ich mir sicher, dass diese schwierigen und gefühlt negativ besetzten Momente zum Gelingen meiner Fernwanderung ganz besonders beigetragen haben. Natürlich war auch auf meiner Fernwanderung #bud2esa nicht immer alles rosig.
Ganz im Gegenteil, es gab wirklich harte Tage.
Dennoch – dieses besondere Projekt, dieses fantastische Gesamterlebnis, hat mir acht Lektionen mitgegeben, die mir hoffentlich und wahrscheinlich auch inskünftig eine Stütze sind und weiterhelfen.
Wäre es unterwegs nicht auch mal ruppig und schwierig geworden und hätte ich mich nicht so manches Mal überwinden müssen, hätte ich diese Lektionen vielleicht so nicht mitnehmen können.
Auch wenn mir das damals – unterwegs und frustriert, kaputt, traurig, schmerzverzehrt, genervt – sicher nicht so bewusst war. Auch wenn ich das unterwegs mitten im Nirgendwo bestimmt nicht so unterschrieben hätte.
Es mag ein Klischee sein.
Doch es ist wahr.
Hinterher ist man immer schlauer!
Auch das ist ein besonderer Reiz, den das Fernwandern so mit sich bringt.
Fernwandern fetzt nicht immer – in diesen Momenten
Welche Momente sind das, die unterwegs auf das Gemüt schlagen können? Wann wird es schwierig? Woran kann ein Fernwanderer schon mal verzweifeln?
Schmerzen
Die Knochen schmerzen. Vor allem am Anfang einer Fernwanderung. Dann, wenn der Rücken noch nicht an den Rucksack gewöhnt ist. Dann, wenn Füsse und Fussgelenke sich an das tägliche unebene Terrain gewöhnen. Dann, wenn der Körper merken und akzeptieren muss, dass der Mensch, zu dem er gehört, in der Tat jeden Tag wandern wird. Und das für eine ganze Weile.
In den ersten rund 20 Tagen auf #bud2esa musste ich mich jeden Morgen selbst überzeugen: “Du gehst jetzt los. Es hilft nichts!” Und das nur, weil mir meine Knochen weh getan haben. Weil ich das Gefühl hatte, jeden Tag einen Marathon bewältigen zu müssen.
Im Riesengebirge lag ich dann einen Tag mit einer Art Hexenschuss flach. Der Rücken hat gestreikt. Nach einem Tag liebevoller Fürsorge ging es dann zum Glück schmerzfrei weiter.
Es ist wie es ist: Der Körper muss mitspielen. Nur allein deshalb sollte man gut auf ihn hören.
Hören allein reicht nicht aus. Man muss auch gut zuhören und verstehen.
Schmerzen, die aus ungewohnten Verhalten resultieren und vergänglich sind, dürfen nicht zuviel Gewicht und Bedeutung bekommen.
Aus Erfahrung weiss ich: Nach den ersten zehn bis fünfzehn Minuten ist der “Anlaufschmerz” wie weggeblasen. Alle Muskeln und Knochen sind wachgerüttelt und warmgeschüttelt. Körper und Geist freuen sich über die neuerliche Bewegung.
Frustration
Am liebsten möchte man wurzeln. Hier und Jetzt.
Stehenbleiben.
Nicht mehr weiter wandern.
Es kann ungemein frustrierend sein, wenn man kaputt, ausgelaugt oder angeschlagen in unbekanntem Terrain auf unerwartete Schwierigkeiten stösst. Natürlich rechnet man damit, wenn man sich auf einer Fernwanderung befindet, die man nicht kennt. Man ist darauf eingestellt, dass nicht alles klappen wird.
Doch dann verläuft man sich. 25 Kilometer Tagesetappe plus weitere Extrakilometer, um die richtige Richtung wiederzufinden. Frust.
Oder man wandert stunden- und kilometerlang auf Hartbelägen, Strassen oder Asphalt. Eine monotone Tortur, vor allem bei einem empfindlichen Knochengerüst, wie meines eines ist. Totaler Frust.
Du wanderst stundenlang durch Matsch nach tagelangen Regenfällen. Der Lehmboden verwandelt die Wanderwege in Rutschbahnen. Im Aufstieg heisst es zwei Schritte nach oben, einer nach unten. Im Abstieg verhinderst du nur mit Balanceakten mit grandiosen Haltungsnoten eine Landung im dreckigen Nass. Deine Schuhe werden immer schwerer, weil der Matsch haften bleibt. Absoluter Frust.
Auch das ist Fernwandern. Das macht nicht immer Spass. Mit der Zeit wird man, ganz von selbst, demütiger. Regt sich darüber nicht mehr auf, weil es weit hinter die Schönheit und Besonderheit der Fernwanderung zurücktritt. Doch es gibt Momente, da ist die Frustration sehr gross.
Doch meist verschwindet die Frustration genauso verlässlich wieder, wie jeder Tag Dutzende schöne und bemerkenswerte Erlebnisse bringt.
Müdigkeit (durch Reizüberflutung)
Jeden Tag eine neue Umgebung. Andere Landschaften, andere Ortschaften, vielleicht sogar unterschiedliche Länder mit verschiedenen Sprachen.
Jeden Tag ein anderes Bett. Eine andere Unterkunft, ein anderes Zimmer.
Andere Menschen, überraschende Begegnungen.
Jeden Tag wieder neue und unerwartete Herausforderungen.
Ganz schön viel Neues, Anderes, Unerwartetes in kurzer Zeit.
Das ist ein schmaler Grat zwischen Faszination, Komfortzone und Müdigkeit.
Es gibt Menschen, die beziehen aus soviel Veränderung immer wieder neue Energien. Ich kann mich sehr schnell an eine neue Umgebung gewöhnen. Ich mag es, verschiedene und unbekannte Landschaften und Gegenden kennenzulernen und zu erkunden.
Doch auch ich bemerke während der 138 Tage #bud2esa eine gewisse Reizüberflutung. Nur selten bringe ich die Energie auf, nach bewältigter Wanderung, noch Sehenswürdigkeiten oder Museen anzuschauen. Wenn überhaupt, reicht die Lust – und Kraft, mental und körperlich – noch für einen Spaziergang durch das Dorf, in dem ich übernachte.
Die Gefahr?
“Blind” wandern. Keine Lust haben, nach rechts und links zu schauen. Einfach ankommen wollen.
Es gibt solche Tage beim Fernwandern. Doch zum Glück sind es nur ganz, ganz wenige zwischen Budapest und Eisenach.
Genervt sein
Stell’ dir, du kommst nach einem Tagesmarsch an deinem Tagesziel an. Du freust dich auf das Quartier, deinen Gastgeber, eine warme Dusche und ein leckeres Essen. Und dann?
Das Zimmer ist unsauber. Die Dusche befördert nur vereinzelte kalte Tropfen aus sich heraus. Die Betten wimmeln nur so vor Bettwanzen. Unterhalten kannst du dich nicht, weil es keine gemeinsame Sprache gibt. Das einzige Restaurant im Ort, sofern es überhaupt eines gibt, hat geschlossen. Der Dorfkonsum auch. In deinem Rucksack befindet sich nur noch ein Apfel und ein paar Schokokekse. WIFI gibt es nicht oder es ist schnarchend langsam. Im Kühlschrank wimmelt es von Schimmelpilzen. Deine Reservation ist verloren gegangen und du wirst umquartiert.
Alles Sch…?
Kann sein. Ist es manchmal auch. Je nach Tagesform nerven solche Dinge schon mal gewaltig.
Interessanterweise haben mich die Momente der Rubrik “genervt sein” am wenigsten gestört. Doch Empfindungen dieser Art waren schon ab und zu mal da.
Doch eines lehrt eine Fernwanderung nahezu immer. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.
Es kommt alles gut. Auch wenn es anfangs nicht so aussieht. Vertraue darauf!
Was tun, um durch das mentale Fernwandertief hindurchzuwaten?
In den schwierigen Momenten unterwegs hilft die Erinnerung an das Warum der Fernwanderung. Es ist nicht einfach, aber ungemein hilfreich, sich bewusst die folgenden Fragen zu stellen – und sie für sich selbst ehrlich zu beantworten:
Warum mache ich das? Warum wollte ich fernwandern?
Warum bin ich hier?
Was werde ich am Abend denken, wenn ich jetzt impulsiv einem schlechten Moment nachgebe?
Werde ich es mir später verzeihen können, jetzt aufzugeben?
Ist der Schmerz/Frust/Unlust/Wetter wirklich so gross, dass es absolut nicht weitergehen kann?
Wenn es gesundheitlich und körperlich sorgenfrei passt, sind es meist das eigene Kopfkino, Trägheit oder einfach eine Reizüberflutung, die einem Weitwanderer das Fernwanderleben schwer machen können.
Dann gilt:
1. Glaube nicht alles, was du denkst!
2. Ein Tag Ruhe kann Wunder wirken.
3. An Ort und Stelle oder in der unmittelbaren Umgebung ein Quartier suchen und morgen einfach weiter wandern, als sei das gewollt so.
4. Sich nicht dem Moment der mentalen Schwäche hingeben, einfach weiter wandern und die Stimmen im Kopf ignorieren. Bald schon werden sie wieder ganz still sein.
Man muss sich überwinden können.
Und sich selbst gut kennen, um sich auf sich selbst verlassen zu können.
Ganz wichtig.
Und nicht vergessen:
„Das wichtigste Stück des Reisegepäcks ist und bleibt ein fröhliches Herz.“ (Hermann Löns, deutscher Journalist, 1866 – 1914)
Beitragsbilder von James Pond und Heidi Sandstrom auf Unsplash
Hi Jana,
sich jeden Tag selbst motivieren, um ein Ziel zu erreichen, ist bestimmt nicht leicht. Du hast mit der Bewältigung des EB-Fernwanderweges eine prima Leistung vollbracht. Hierzu nochmals unseren Glückwunsch!.Deine Einschätzung im Blogbebeitrag zu den Schwächen, Zweifeln und Stärken deiner Motivation sind ehrlich und gut beschrieben. Das ist m.E. einer deiner besten Beiträge. Weiter so!
LG
Lieber ztv,
danke für die schönen Worte und das Lob! Das freut mich sehr :-)!
Ein fussiger lieber Gruss, Jana
Hallo Jana, ich lese von Anfang an Deine Seite sehr interessiert durch. Wir wandern seit 2018 den EB, arbeitsbedingt in sehr kleinen Etappen. Gerne würde ich Deine Niederschriften in Facebook and co. lesen, sind aber da nicht so bewandert. Kannst du sie uns so zukommen lassen? Sagen wir ganz altertümlich per mail?
Liebe Grüße
Ina und Holger
Liebe Ina,
danke, Beides freut mich sehr. Der wunderbare “EB” verdient es, unter die Wanderfüsse genommen zu werden.
Gerne habe ich Euch via eMail geantwortet. Berichtet gerne, wie es Euch auf dem “EB” ergeht oder ob Ihr weitere Infos benötigt.
Ein lieber fussiger Gruss, Jana