Gehen Zweibeiner und Vierbeiner gemeinsam wandern, prallen nicht nur unterschiedliche Reisegeschwindigkeiten aufeinander. Unterwegs sorgen regelmässig konträre Auffassungen über Lebensinhalte und das Herangehen an unerwartete Situationen für Situationskomik.
Kilometer um Kilometer wird klarer, dass die Lebensschule der Vierbeiner minimalistischer und weniger kompliziert ist. Lehrstunden werden erteilt, bis sich am Ende der gemeinsamen Wanderung herausstellt, wie gut man sich aufeinander eingestellt hat. Dann fällt auf, dass sich der Zweibeiner mehrheitlich dem Vierbeiner angepasst hat. Anpassen musste. Nicht ohne eine Lektion fürs Leben mitzunehmen. Ein Leitfaden über das Eselwandern.
Zwei Frauen, ein Esel.
Eine Frau führt das Tier, die andere, ich, laufe allein. Unsere gemeinsame Wanderung startet. Wir laufen los. Im Stemmschritt des Alltags gehe ich los und schaue mich hundert Meter später um. Das Gespann aus Zwei- und Vierbeiner ist selbst auf dieser kurzen Strecke ein ganzes Stück hinter mir zurückgeblieben. Die beiden trotten in aller Eselsruhe hinter mir her. Das Tier gibt das Tempo vor, der Mensch, der mit ihm über das Seil verbunden ist, grinst mich an.
Gerade hat uns Esel “Serpolet”, zu deutsch Thymian, eine erste Lektion in Sachen Eselwandern gegeben.
Ich, Esel, bin der Boss und gebe die Geschwindigkeit vor. Du, Mensch, kannst nicht viel dagegen tun. Besser, du vergisst deinen Alltagsstress und deine Hektik, denn ich, Esel, werde mich dem sicher nicht beugen.
Für Esel gibt es nur drei Tätigkeiten, mit denen sie sich im Laufe eines solchen Wandertages beschäftigen.
Fressen: Esel stammen aus der Halbwüste, wo die Nahrung rar ist. Das bedeutet, dass sie, sobald sie Gelegenheit dazu bekommen, so viel fressen wollen, wie sie können. Sie wissen ja nicht, wann es wieder etwas gibt.
Schauen und denken: Esel können ihre Ohren um 360 Grad drehen. Sie hören somit ganz genau, was hinter ihnen passiert. Dafür ist ihr Blickfeld der Augen eingeschränkt. Sobald sie etwas Unbekanntes hören oder etwas Komische sehen, bleiben sie stehen. Lauschen, schauen, denken. Sie bleiben solange angewurzelt stehen, bis die Ohren zucken oder sich der Kopf bewegt. Erst dann sind sie überhaupt bereit, weiter zu gehen.
Laufen: Wenn Esel genug zu fressen bekommen sowie in Ruhe schauen und denken dürfen, dann laufen sie auch. Gerne sogar, macht es ihnen doch Spass über saftige Wiesen zu gehen. Eine gesunde Neugier ist ihnen angeboren.
Fressen, schauen und denken und laufen. Drei einfache Tätigkeiten. Das ist überschaubar. Darüberhinaus verleitet es zu der Annahme, dass das ja alles nicht so schwierig sein kann. Ist es eigentlich auch nicht.
Das lernt der menschliche Zweibeiner beim Eselwandern
Dennoch sollte man vor einer Eselwanderung wissen, dass die Vierbeiner gnadenlose Lehrmeister sind. Ohne Wenn und Aber erhält der Zweibeiner im Laufe der nächsten gemeinsamen Wanderstunden und -tage folgende Lektionen:
1. Geduld
Die Geduld kann schon einmal arg strapaziert werden, wenn der Esel ständig in die Wiese rennt, um zu fressen. Oder wenn er alle paar Meter stehenbleibt, um zu schauen. Oder einfach wie ein Bock die Hufe in den Boden rammt und sich keinen Meter mehr bewegen möchte, weil er nicht über ein Gitter gehen mag oder die Brücke meidet, weil der Fluss darunter zu laut rauscht.
Der Mensch will vorwärts kommen, der Esel hat keine Eile. Eselwandern ist Langsamkeit par excellence. Eselwandern ist eine Lebensschule in Sachen Geduld. Umso länger das Eselwandern dauert, umso eher und nachhaltiger nimmt man die gerade wieder erlernte Geduld mit in den (stressigen) Alltag.
Der Witz am Ende? Mensch kommt trotzdem rechtzeitig und stressfrei am Tagesziel an. Vielleicht etwas später als geplant, sehr wahrscheinlich aber viel entspannter als erwartet.
Die Geduld eines Esels, die wünsche ich uns Menschen.
2. Gelassenheit
Wo Geduld gebraucht wird, ist die Gelassenheit nicht mehr weit. Eselwandern macht gelassen, weil Mensch mit der Zeit bemerkt und lernt, dass so ein Tag auch dann schön und spannend ist, wenn er anders verläuft als geplant. Sich den Marotten eines Tieres anpassen zu müssen, macht tatsächlich gelassener. Mensch muss nicht immer alles im Griff haben oder nach seiner Nase tanzen lassen. Esel sind dafür perfekte – und überzeugende – Lehrmeister.
3. Geradlinigkeit
Eselwandern fördert Geradlinigkeit? Ja, tut es. Wie? Ein Esel zeigt uns, dass “Nein sagen” einfach ist. Und nicht immer einer Begründung bedarf.
Ein konsequentes Nein kann auch für klare Fronten sorgen. Wenn Esel eben nicht weitergehen möchte, tut er es eben nicht. “Nein, ich gehe nicht weiter.” Punkt. Eine Diskussion erübrigt sich und ist auch sinnlos. Was tun, wenn man mit einem kompromisslosen Nein konfrontiert ist? Man lernt (wieder?), sich auf sein Gegenüber einzustellen.
Warum nicht auch wieder einmal öfter im eigenen Alltag “Nein” sagen, wo man sonst vielleicht “Ja” gesagt hätte? Esel macht es vor. Und es geht trotzdem.
Geradlinigkeit mag nicht immer einfach sein und auch für irritierte Reaktionen sorgen.
Geradlinigkeit macht das Leben auf lange Sicht immer einfacher. Immer.
So wandern Esel und Mensch am besten zusammen
Esel können 45 Jahre alt werden. Wenn sie in jungen Jahren nicht viel und schwer tragen mussten, sind sie auch im höheren Alter noch unternehmungslustig. Die Langohren sind intelligente und soziale Tiere, die ihren Teil zum Gelingen einer gemeinsamen Wanderung beitragen. Sie kennen keine strenge Rangordnung in der Herde, auch Menschen gegenüber nicht. Sie sind daher nicht autoritätshörig und kooperieren gern. Esel sind sehr feinfühlige und sensible Tiere, die sehr schnell eine Beziehung zum wandernden Menschenpartner aufbauen. Ein Esel weiss aber auch, dass er Widerstand leisten muss, wenn er geknechtet wird.
Aus eigener Erfahrung beim Eselwandern möchte ich dir die folgenden Tipps mit auf den Weg geben:
# Am besten mindestens zwei Esel zum Wandern mitnehmen. Esel fühlen sich in der Gruppe und unter ihresgleichen am wohlsten. Esel sind sehr soziale Tiere, die auch in den Pausen immer den Menschen und die Artgenossen sehen wollen. Wenn man alleine mit nur einem Esel unterwegs ist, fühlt er sich einsam und wird sehr schnell anhänglich.
# Gerade am Anfang ist es wichtig, seinen Esel lesen zu lernen. Es ist von Vorteil, den Vierbeiner nicht auf jeder Wiese fressen zu lassen, die man auf einer Wanderung passiert. Irgendwann kann man das Tier dann gar nicht mehr vom Fressen abhalten und dann kann es auch mühsam werden. Mehr Konsequenz am Anfang, wo man sich gegenseitig noch kennenlernt, macht es für die restliche Zeit einfacher.
# Beim Eselwandern auf Strassen ist ein Mensch mit einem Esel einem Auto gleichgestellt. Das wissen so nicht viele Menschen, daher ist trotz allem Vorsicht geboten. Am besten möglichst rechts laufen und den Esel auf der rechten Seite führen. Erhöhte Aufmerksamkeit ist notwendig, wenn sich das Tier erschreckt (gerade auch bei Fahrradfahrern).
# Die Leine, mit der du den Esel führst, nicht um die eigene Hand wickeln. Esel haben einen ausgeprägten Fluchtinstinkt und machen, wenn sie sich erschrecken, auch schon mal einen schnellen Satz zur Seite. Ist die Führleine um die Hand gewickelt, kann das böse Folgen haben. Unbedingt die Leine loslassen, wenn der Esel plötzlich ausbricht. Du hältst ihn sowieso nicht.
# Beim Abwärtslaufen am besten direkt vor dem Esel gehen. Das minimiert seine Geschwindigkeit. So kann verhindert werden, dass die Esel sich gegenseitig begeistern und zusammen den Berg hinabrennen. Es ist ein urkomisches Gefühl, wenn der Mensch seinen Eseln hinterrennt, die gerade vor lauter Lebensfreude bergab stürmen.
Warst du auch schon einmal Eselwandern? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Lass es uns gerne in den Kommentaren wissen!
Köstlichst!
Danke Dir! So köstlich wie das Eselwandern selbst *lol*.
Hallo Jana, liest sich ja wirklich spannend! Hast du vielleicht einen Link über das Eselwandern, oder gibt’s darüber noch weitere Infos hier im Blog? LG 🙂 Inga
Hi Inga,
danke! Ich schicke Dir meine Empfehlungen zum Eselwandern per eMail. Am besten auch mal googeln, weil viele Anbieter für Eselwandern sich nur auf ihre Region konzentrieren (sonst müssten die Esel ja auch transportiert werden).
Liebe fussige Grüsse von LangsamMacher Jana
Hi Jana, stimmt – googlen ist natürlich auch möglich 🙂 Ich schau gern selbst nach – alles gut. Dachte nur, dass es vielleicht weitere Infos hier im Blog geben wird, weil ich in Deinem Blog wirklich gern lese. LG 🙂
Hi Inga,
danke, ich freue mich sehr, dass Du gerne dabei bist. Meine eMail mit den Empfehlungen kommt noch!
Merci und liebe fussige Grüsse, Jana