“Woher kommst Du?”
“Aus Eisenach.”
“Mmh, das sagt mir nichts. Wo liegt das?”
“In Ostdeutschland. In Thüringen. Es ist eine kleine Stadt. Manche kennen sie, weil Martin Luther dort auf der Wartburg die Bibel ins Deutsche übersetzt hat.”
So oder ähnlich verlaufen die Dialoge meist, wenn ich erkläre, woher ich komme.
Eisenach also.
Die Wartburgstadt, die kaum zehn Kilometer entfernt von der ehemaligen innerdeutschen Grenze liegt, fast mittig zwischen Marburg und Erfurt. Im westlichen Thüringen, dem grünen Herzen Deutschlands. Das Grün verdankt es dem waldreichen Thüringer Wald. Das Herz seiner Lage in der Mitte Deutschlands.
Zu den Dingen, die man nicht unbedingt wissen kann, zählen zwei Besonderheiten: Eine Handballmannschaft, der ThSV Eisenach, der in der 1. Bundesliga spielt, aber dabei hin und wieder oder eher regelmässig auch in die zweite Liga absteigt. Und Bill Clinton und Helmut Kohl waren auch schon hier. Das war im Mai 1998 und 30.000 Menschen wollten sie sehen.
Wichtiger dagegen ist: Eisenach war schon immer ein Zentrum der Automobilindustrie. Seit über 100 Jahren werden hier Autos gebaut. Früher, zu DDR-Zeiten also, der Wartburg. Das Auto, dessen Name dem Namen der Burg gleicht, an deren Fuss es erbaut wurde. Jeder Eisenacher kennt das besondere Bild eines Wartburgs (das Auto) vor der Wartburg (die Burg). Heute laufen statt des Wartburgs viele Opel Adams vom Band.
Das sind Fakten.
Dazu kommt das Emotionale: Eisenach ist meine Heimatstadt.
In diesem Frühjahr war ich endlich wieder einmal etwas länger auf Heimatbesuch. Knapp vier Wochen. In Zürich zu leben und sich dann eine Weile wieder in Eisenach aufzuhalten, bringt einen Kulturschock mit sich. Das Weltmännische weicht dem Provinziellen, die Wuseligkeit einer kosmopolitischen Stadt wird durch die brave Alltagsroutine einer thüringischen Kleinstadt ersetzt.
Nachdem die gegensätzlichen Eindrücke verdaut und eingeordnet sind, öffnet sich mein Herz wieder für die Stadt, in der ich aufgewachsen bin.
Der spröde Charme Eisenachs, den sehe ich nun und bin bereit, ihn aufzunehmen.
Erinnerungen kommen zurück. Dann entdecke ich all die schönen Dinge wieder, die mir an meiner Heimatstadt jedes Mal gefallen. Die mich immer mit Freude zurückkehren lassen. Dinge, die sich dem Besucher nicht auf den ersten Blick, sondern erst bei einem längeren Aufenthalt offenbaren. Dann aber nachhaltig in Erinnerung bleiben.
Sieben wunderbare dieser Dinge, kleine Glanzpunkte Eisenachs, möchte ich heute vorstellen. Meine sieben Höhepunkte, die meine Heimatstadt so liebenswert machen!
7 Glanzpunkte in Eisenach, die du kennen musst
1. Klein aber oho – Musik, Geschichte, Fernsehen & Co.
Klar, an den Namen Wartburg (Burg & Auto) denken die meisten, wenn sie Eisenach hören. Die wenigsten dagegen wissen, dass in Eisenach auch solche Berühmtheiten wie Johann Sebastian Bach (hier geboren) und Martin Luther gelebt haben. Beide gingen im übrigen auf dieselbe Schule. Auf eine Schule , auf die ich ein paar Jahrhunderte später auch gegangen bin. Ein Hauch von Historie begleitete mich während der Schulzeit, in “dem alten Gemäuer”, wie ich mein Schulgebäude damals mit Trotzigkeit eines Teenagers nannte.
In Eisenach, diesem beschaulichen Flecken Erde zwischen Thüringer Wald und Nationalpark Hainich, kann man Kultur und Geschichte schmecken. Luthers Wirken auf der Wartburg nachempfinden, Bachkonzerten im Palais der Wartburg lauschen (Achtung, Geheimtipp!), auf den Spuren von Fritz Reuter, Richard Wagner (seine Oper “Tannhäuser” handelt vom Eisenacher Sängerkrieg) und Ernst Abbe wandeln oder im Gründungshaus der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Vorgängerpartei der heutigen SPD) erahnen, wie hier August Bebel und Wilhelm Liebknecht 1869 für die Gründung der Partei kämpften.
Die grüne Lage der Stadt und diese kulturhistorischen Besonderheiten mögen ein triftiger Grund gewesen sein für die Macher der ARD-Abendserie “Familie Dr. Kleist”, die seit 2003 in Eisenach gedreht wird. Ein richtig prominenter Programmplatz für eine Fernsehserie in einer thüringischen Kleinstadt mit gerade einmal 42.000 Einwohnern.
Genau diese vielseitige Mischung ist es, die mich selbst immer begeistert.
2. Der Alte Friedhof
Gleich neben Bachs, Luthers und meiner Schule liegt der Alte Friedhof. Einstmals als Gottesacker angelegt mit der zu ihrer Zeit modernsten Leichenhalle Deutschlands (1829).
Heute ist das Areal am Schlossberg, am Aufstieg zur Wartburg, nicht nur die letzte Ruhestätte von Bachs Eltern, sondern vor allem ein herrlich idyllischer Platz, den Lärm und Stress des Alltags buchstäblich hinter der alten Stadtmauer zurücklassend.
Einer dieser versteckten Orte, die man kennen muss, um sie zu finden. Ein Platz zum Ausruhen, meditieren … und zum Texte auswendig lernen, wie Ulrich Pleitgen, einer der Hauptdarsteller aus “Dr. Kleist” herausfand.
Wer genug hat von Historischem, der möge hier eine kleine Pause einlegen. Und dann zu Fuss unterwegs den Aufstieg zur Wartburg wagen.
3. Eselreiten auf der Wartburg
Eine der schönsten Traditionen in Eisenach sowie eine meiner liebsten Kindheitserinnerungen ist der Ritt zur Wartburg.
Nein, nicht auf einem Pferd, sondern auf gutmütigen Eseln. Und natürlich nur für Kinder. Familienerlebnis pur und heute noch genauso beliebt wie damals in meiner Kindheit.
Diesen Ritt gibt es bereits genauso lange wie den Automobilbau in Eisenach. Also auch seit 100 Jahren. Im Gegensatz zur Industrie des Autobauens ist der Eselritt immer in Familienhand geblieben.
Ich glaube, seitdem haben sich die Namen der Esel nie geändert, die über der Eselstation stehen: Susi, Moritz, Lotte, Julius, Peter, Lore, Conny, Bärbel und Max. Die Tiere mögen viel gewechselt haben in diesen 100 Jahren, die Namen blieben. Vielleicht wurden sie auch einfach immer wieder gleich benannt.
Das letzte Stück, hoch zur Burg, muss man laufen, egal, ob man mit dem Auto, zu Fuss oder dem Esel anreist. Meine Must-See’s der Wartburg: die Elisabethkemenate, das Ritterbad und, an klaren Tagen, die Aussicht vom Südturm.
4. Das Eisenacher Südviertel
Steht man auf dem Südturm oben auf der Wartburg schweift der Blick über endlos grüne Wälder und, man kommt gar nicht daran vorbei, über Eisenach grossen Stolz und seine schönste Seite: das berühmte Südviertel. Deutschlands grösstes Villenviertel.
Eine bergige Angelegenheit ist der Spaziergang vorbei an all den prächtigen herrschaftlichen Villen. Kenner werden Elemente des Jugendstils, Spätklassizismus oder Historismus entdecken und die schmiedeeiserne Gartentorkunst, sofern noch vorhanden, bewundern.
Die weniger kunsthistorisch interessierten Spaziergänger staunen über die schiere Vielfalt der Villen mit meist grandioser Aussicht in Richtung Wartburg oder zum Burschenschaftsdenkmal.
5. Eisenachs kulinarische Handwerkskunst
Nach soviel Kultur, Geschichte und Architektur ist es Zeit, sich zu stärken.
Eisenach hat noch immer eine bewundernswerte Dichte an traditionellen Bäcker- und Fleischerbetrieben in Familienhand. Wir sagen wirklich Fleischer, nicht Metzger.
In manchen Geschäften steht die Kundschaft auch heute noch so an, dass die Warteschlange sich bis vor den Laden zieht. Augen offen lassen und dann immer der Nase vertrauen – man kommt an diesen Läden gar nicht vorbei.
Eines darf dann natürlich nicht fehlen: eine echte Thüringer Rostbratwurst zu probieren. Echt nur echt, wenn sie vom einheimischen Fleischer kommt und auf dem Holzkohlegrill gebraten ist. Ein Thüringer isst seine Bratwurst immer mit Senf, nicht mit Ketchup.
Egal wo ich heute lebe, ob jetzt in Zürich oder vorher in Frankfurt am Main, immer noch bringe ich nach jedem Besuch in Eisenach viele Thüringer Rostbratwürste mit – nicht für mich, sondern vor allem für meine Freunde, die die würzigen Bratwürste auch lieben gelernt haben. Eine Geschäftsidee?
Für die süße Pause geht man in “Die Manufaktur” am Markt. Das biologisch hergestellte selbstgemachte Eis ist einfach eine Wucht.
Die besten Tapas, Steaks und Weine gibt es in der „Weinwirtschaft Leander“ am Karlsplatz. Hier unbedingt, aus Loyalitätsgründen, den ThSV-Cocktail probieren: eine nicht zu unterschätzende Mischung aus Bacardi, Wodka, Blue Curacao, Maracuja und Ananas.
Und mit ein bisschen Glück sitzt am Nebentisch einer der Hauptdarsteller von “Familie Dr. Kleist”. Ich spreche aus eigener Erfahrung.
In dieser Stimmung dann zum Handballspiel gehen und Live-Atmosphäre spüren. Wenn der ThSV mal gewinnt, schwappt das lauthals gesungene Rennsteiglied durch die Halle. Ein Erlebnis der besonderen Art.
6. Gut Ei & Kikeriki!
In Eisenach wird auch eines der grössten Frühlingsfeste Deutschlands, der Sommergewinn, gefeiert. Eine Tradition seit dem 15. Jahrhunderts, hat dieser Brauch auch die turbulenten neuen Zeiten überlebt.
Die ganze Stadt schmückt sich getreu dem Motto “Gut Ei & Kikeriki”. Das Ei als Symbol der Fruchtbarkeit und der Hahn als Verkünder des Lichts. Die liebevoll geschmückten Häuser sind ein echter Hingucker und lassen mich auch nach so vielen Jahren staunend zurück.
Nach einem Umzug, der jedes Jahr zu einem bestimmten Motto besonders gestaltet wird und bei dem jedes Eisenacher Kind, so auch ich, schon teilgenommen hat, wird Herr Winter von Frau Sunna im Rededuell und Streitgespräch auf dem Marktplatz besiegt – was den Winter endgültig verabschiedet und den Frühling nun freudig begrüsst.
Drei Wochen vor Ostern wird am gesamten Wochenende in Eisenach gefeiert. Jedes Jahr wieder drücken sich die Eisenacher selbst die Daumen, dass das Wetter mitspielt, damit nach all der Zeit der intensiven Vorbereitungen gross gefeiert werden kann.
7. Wandern im Thüringer Wald
Ich bin oft und gerne zu Fuss unterwegs. Am liebsten in der Natur und in den Bergen. Eine Leidenschaft, die ich im heimatlichen Thüringer Wald dank meiner Eltern schon im Kindesalter entwickeln durfte.
Eisenach, am Beginn des Rennsteigs gelegen, einem mehrtägigen Fernwanderweg bis ins bayrische Blankenstein, bietet so herrlich viele Möglichkeiten, viele verschiedene Wanderungen machen zu können. Möglichkeiten, von denen ich immer wieder Gebrauch mache, wenn ich in meine Heimat zurückkehre. Zu jeder Jahreszeit, am liebsten aber im Spätsommer und Frühherbst, wenn die Pilze wieder spriessen und die Temperaturen noch angenehm sind.
Meine Lieblingswanderung? Von Hörschel auf den Clausberg (Achtung, noch ein Geheimtipp: dort gibt es leckere Thüringer Küche!) und von dort hinüber zur Hohen Sonne und durch die enge Drachenschlucht zurück nach Eisenach. Immer wieder schön.
Welche Wanderung es auch immer ist, ich liebe meinen Thüringer Wald.
Nicht nur Glanzpunkte. Eine Liebeserklärung.
Kultur, Geschichte, Architektur, Kulinarisches und Natur. Eisenach, das ist für mich wie eine geheimnissvolle Truhe, deren kostbare Schätze mit Muße und Gelassenheit entdeckt werden wollen.
Jeder Schatz ist ein Glanzpunkt für sich, der die Liebe zu meiner Heimatstadt fundiert und mich mit lachendem Herzen in die Stadt meiner Kindheit zurückkehren lässt.
Eine Truhe, die ich gerne auch Andere öffnen lassen möchte. Eine Sehenswürdigkeit in Deutschland, die man nicht verpassen darf!
Wartburg – Heimweh
Wo ich streife, wo ich jage, bleibt ein Wunsch mir ungestillt,
weil ich stets im Sinne trage, Wartburg, deiner Schönheit Bild.
In des Forsts umlaubten Grunde, in der Talschlucht dunkem Graus
sehnt das Aug zu jeder Stunde sich nach Dir, mein Herz-ruh-aus!
(Joseph Victor von Scheffel, 1863)
Hallo Jana,
ein sehr interessantes Ziel und schön, dass du die Landkarte in der Mitte Deutschlands auffüllst 🙂
Liebe Grüße
Florian
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